Freitag, 30. März 2012

Mike Candys Ft. Evelyn & Patrick Miller: 2012 ‘If The World Would End’

Schweizer Dance-Produktionen haben gerade Konjunktur in Deutschland. Im letzten Sommer war es DJ Antoine, der mit einem Remix von Timati’s Welcome To St. Tropez einen echten Sommerhit landen konnte. Wenig später folgte von seinem Kollegen Mike Candys aus Zürich ein zweiter Aufguss. One Night In Ibiza war von Anfang an als Antwort auf den DJ Antoine-Hit zu verstehen, leider nicht wahnsinnig originell gemacht. Das Dancefloor-Volk hat’s wenig gestört. Immerhin gab’s ja eine ganz eingängige Hookline. Im Fahrwasser der beiden segelte dann auch gleich noch Remady in die hiesigen Clubs und Dancefloors. Und so kommt es, dass die schweizerische Definition von Dance doch recht präsent ist.

Aktuell scheint sich besonders Mike Candys zu etablieren. Nachdem One Night In Ibiza überraschend erfolgreich durch den Herbst fegte, standen für ihn irgendwie alle möglichen Türen offen. Mit einer Coverversion des Dreamhouse-Klassikers Children wollte es Anfang des Jahres noch nicht so richtig funktionieren. Jetzt aber legt Mike Candys mit 2012 ‘If The World Would End’ nach. Und landet unglaublicherweise ganz oben in den Verkaufscharts. Das Rezept ist bekannt: Dancefloor-Beat, weibliche Refrain-Sängerin, wenig textlicher Inhalt und ein männlicher Rap-Part. Zutaten, wie sie schon bei One Night In Ibiza funktioniert haben, nur jetzt noch einmal mehr in Richtung 90er Sound geschoben. Anfügen muss ich: schlechten 90er Sound.

Der Beat versucht gar nicht erst, auf irgendeine Art raffiniert zu sein. Straight to the floor und simple Hookline – hätte jetzt auch ein Kompositionsprogramm so entwerfen können. Die Stimme von Evelyn ist leider alles andere als charismatisch. Das sie tatsächlich mal die schweizerische Variante von Popstars gewonnen hat, hört man an dieser Produktion so gut wie gar nicht. Das, was sie vielleicht an Talent, Eigenart und Emotion mitbringt wird durch Auto Tune weggewischt. Nur nicht auffallen, schön durchschnittlich bleiben. Patrick Miller dagegen klingt unglaublich angestrengt cool. Vielleicht hat er tatsächlich so eine rauhe Stimme, irgendwie bewusst aufgesetzt bleibt das Ganze, weil er halt versucht mich von einer ziemlich beknackten Story zu überzeugen – Turbo B. war da vor gut 20 Jahren 10.000 x authentischer. Das sind jetzt natürlich alles sehr subjektive Eindrücke. Da mag es andere geben. Die Parallelen zu den 90ern sind allerdings nicht wegzudiskutieren. Warum dieser Sound plötzlich wieder derartig original Konjunktur hat, kann ich mir nicht wirklich erklären. Höchstens so, dass diejenigen, die es im Original erlebt haben jetzt in einem Alter sind, in dem sie nicht mehr Zielgruppe Nummer 1 sind und auch sonst kaum noch Musik kaufen. Die Sammlung aus den 90ern steht ja noch im CD-Regal. Die heutigen Musikkonsumierenden sind dann so jung, dass auch der 90er Sound völlig vorurteilsfrei entdeckt werden kann. Und damit dürfen natürlich auch all die schon einmal gemachten Fehler wiederholt werden. Schade!

Dass die Geschichte dann aber doch nicht 1:1 nochmal funktioniert, das ist die eigentliche Tragik hinter 2012 ‘If The World Would End’. Der Titel zitiert zwar sehr schön das hedonistische, selbstbezogene Lebensgefühl des Hier und Jetzt, dass kein Morgen kennt und sich auch nicht drum kümmert. Ideen und Visionen, die der Clubuntergrund der 90er ziemlich fett in die breite Masse gespült hat und die heute für einen guten Teil der Jugend immer noch attraktiv scheinen. Allerdings sind die Figuren im Video und Mike Candys selbst alles andere als die selbstvergessenen und irrational Feiernden. Es ist doch eher die Generation, die den Bausparvertrag schon in der Tasche hat, die natürlich für die Rente einzahlt und sozial abgesichert ist. Papa und Mama haben da ordentlich vorgesorgt und so richtig ins Leere fällt niemand. Erst recht nicht, wenn man aus dem Schweizer Mittelstand kommt. Die leerstehende Fabrikhalle ist lediglich geschmackvoll ausgewähltes Ambiente. Die modischen Outfits unterstreichen das nochmal ordentlich. Hier feiert der überfütterte weiße Mittelstand mit Laserhandschuh und Technik-Gimmicks.



Dass diese Jugend gern etwas mehr Authentizität und Echtheit hätte, dass sie gern etwas geerdeter wäre, das glaube ich gern. Dass ihnen auch der Weltuntergang völlig egal ist, das verstehe ich genauso. Allerdings wirds durch einen ungefährlichen Partysong nicht wirklich besser. Da müsste Mike Candys einfach ziemlich viel mehr konsequenter sein. Britney Spears hat das ja vor einem Jahr schonmal ganz passabel durchgespielt. Da ist dann zwar auch nur ein Popsong draus geworden, aber der sieht in der Inszenierung schon mal wesentlich kaputter und extatischer aus. Warum das so ist, liegt in den Grundannahmen begründet. Bei Britney heißt es Till The World Ends – da gibt es gar keinen Zweifel dran, dass irgendwann mal alles mit lautem Getöse untergeht. Demzufolge ist es tatsächlich möglich (und notwendig), kompromisslos zu feiern. Der Kater danach findet nicht statt. (oder spielt erstmal keine Rolle)



Die europäische Bausparvertrag-Variante lässt sich da lieber ein Schlupfloch. Vielleicht geht die Welt ja doch nicht unter. Also lieber ein bisschen drauf achten, mit wem man da abfeiert. Die facebook-Bilder könnten ja dann doch meinem Chef vor die Augen kommen. Biedere Spießigkeit drückt sich in diesem kleinen Wörtchen “if” aus. Aber das ist natürlich auch genau das Umfeld, aus dem die Produktion kommt. Mike Candys ist kein White Trash. Mike Candys ist wohlbehütete Kindheit und gesellschaftliche Kontrolle, die nicht zulässt, auch mal etwas abseitiger zu denken, zu fühlen und zu leben.







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