Freitag, 29. Mai 2015

Måns Zelmerlöw: Heroes

Und da ist er nun, der aktuelle Eurovision-Gewinner: Måns Zelmerlöw. Bereits im Vorfeld war er einer der Favoriten und mal ehrlich, eine Produktion, die sich so offensichtlich an den erfolgreichen Rezepten von AVICII und David Guetta bedient, wie soll die eigentlich nicht gewinnen? Spannend war die Abstimmung dann trotzdem – vorausgesetzt man kann sich auf das Spektakel und Theater einlassen und betrachtet das Ganze nicht ohnehin zynisch abgeklärt wie der deutsche Langzeit-Kommentator Peter Urban. Der weiß vor jedem Auftritt schon wie Scheiße das jetzt gleich wird (und eigentlich ist aus seiner Sicht fast alles Mist), da kann man sich das Abstimmen auch sparen.

Interessanterweise ist genau das, der Unterschied zwischen der Meinung der "Experten" und der Zuschauenden, in diesem Jahr ernsthaft entscheidend gewesen. Denn der ordentlich am Massengeschmack entlang produzierte Siegertitel Heroes ist keineswegs durch das Televoting der Gewinner geworden . Nein nein, hier hat das Jury-Urteil ordentlich nachgeholfen. Laut Abstimmung per Telefon wären eher die Italiener Il Volo oder vielleicht auch die Russin Polina Gagarina ganz vorn gelandet. Måns Zelmerlöw rangiert da gerade mal auf Rang drei. Offenbar haben die Menschen mittlerweile doch nicht immer nur auf das Gleiche und die Wiederholung Lust. Die Fachmenschen dagegen schon.

Was hat denn nun die Jury bewogen, Heroes so uneingeschränkt zu lieben? Countrygitarre gekoppelt mit Eurodance-Sound und emotionalem Refrain? Wie gesagt, alles schon da gewesen, alles schon Erfolg gehabt. Und trotzdem besser?

Für mich war und ist es wesentlich auch die Live-Inszenierung, die Titel und Sänger hilft, im Gedächtnis zu bleiben und letztlich auch zu überzeugen. Das Spiel zwischen Lichtprojektion, Musik und Mensch auf der Bühne war zumindest auf dem Fernsehschirm auch beim dritten Mal noch umwerfend. In der Halle bei vollem Druck des Sounds und überbordendem Scheinwerfereinsatz wahrscheinlich noch viel mehr. Da konnten nicht viele andere Kandidaten mithalten: Aminata aus Lettland oder Loic Nottet aus Belgien vielleicht. Und eventuell auch John Karayiannis aus Zypern durch den totalen Verzicht auf alles.



Beim Song Contest geht es wohl oder übel schon lange nicht mehr nur um gute Songs. Meine Mutter findet das jedes Jahr wieder total blöd. Aber sie hat sich von Popmusik schon vor gefühlten 50 Jahren verabschiedet. Ihr Pop ist der Dudelfunk der Klassik-Wellen. Und selbst in dem Bereich geht es mehr und mehr um Inszenierung und Vermarktung.

Ich weiß nun nicht genau, ob die Wiedereinführung der Juries vor ein paar Jahren auch damit zu tun hatte, dass man von der Bewertung der Äußerlichkeiten wieder etwas weg wollte. Song Contest ganz traditionell als Wettbewerb des Liedes. Es würde mich zumindest nicht wundern, wenn es so gewesen wäre. Angesichts der Ausgabe 2015 könnte man allerdings bestreiten, dass jetzt vor allem die musikalische Qualität ausschlaggebend gewesen wäre.

Genaugenommen ist diese Diskussion ohnehin Schnee von vorvorgestern. Pop wirkt und funktioniert immer mit allen Sinnen, auf allen Kanälen, in jedem Medium. Nochmal so richtig aufgeschrieben und festgelegt hat das Diedrich Diedrichsen vor einszweidrei Jahren in seinem Popmusik-Buch. Insofern ist die Konzentration bei der Bewertung und Einordnung auf einen Aspekt meist sehr sehr zu kurz gegriffen. (Da kann Peter Urban dann 1000x über die mangelhaften sängerischen Leistungen lästern, damit beweist er maximal, dass er eben nicht begriffen hat, worum es bei der Eurovision-Party geht. Definitiv nicht um guten Gesang.) Und da hat Heroes eben tatsächlich einiges mehr zu bieten, als eine eingängige Melodie. Nämlich eine perfekte Inszenierung, einen unglaublich smarten Helden und eine sehr universelle Botschaft: Warte nicht auf den Helden, der dich rettet. Geh' raus und mach' selbst was aus deinem Leben. Egal ob du schlechte Zeiten erlebt hast und egal was dich für Sorgen plagen.

Konsequenterweise ruft Måns Zelmerlöw nach seinem Sieg auch allen zu: Ihr seid die Helden, egal wen ihr liebt und wie ihr lebt. Kann ein Eurovision-Sieger eine bessere Botschaft haben?

Samstag, 23. Mai 2015

Severino: Hero Of My Heart

Der deutsche Superstar Nr.12 erleidet wesentlich mehr als seine Vorgänger*innen das Schicksal, dass über IHN berichtet wird, statt über seine sängerischen Qualitäten. Allerdings hat er sich das mehr als alle anderen auch selbst zuzuschreiben. Bereits im Februar wurde bekannt, dass er wegen des Verdachts von bandenmäßigem Betrug mit einem Gerichtsverfahren rechnen dürfte. Das Ganze wurde für die Zeit der Show etwas heruntergespielt, verschoben, nicht weiter kommentiert – gerade so viel, dass es für ein wenig Aufmerksamkeit sorgte, aber nicht den Ruf des DSDS-Kandidaten völlig ruinierte. So nett ist man dann doch im Rechtssystem Deutschland.

Kaum aber war der Sieg durch, da brandete die Meldung doch noch einmal richtig groß durch alle Medien: Severino Seeger muss sich verantworten 19.000 EUR von Seniorinnen per Betrug erschlichen zu haben. (In anderen Veröffentlichungen ist die Rede von gleich 100.000 EUR - ob man das glauben darf...) Am 2. Juni 2015 steht die Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt an.

Zwar entschuldigte sich der neue Popstar in der BILD-Zeitung vor wenigen Tagen und will jeden Cent zurückzahlen, aber da ist es nun doch schon zu spät. Die Erbosung auf Facebook ist groß, RTL und Dieter Bohlen distanzieren sich und erwägen sogar, ihm den Superstar-Titel abzuerkennen (wen soll das eigentlich stören?) und damit rasen auch die Verkäufe in den Keller und seine Single Hero Of My Heart schafft es zwar gerade noch so in die Top10 der Verkaufscharts, befindet sich eine Woche nach der Show aber bereits schon fast nicht mehr in der Top100 Verkaufsübersicht.

Da hat sich die wochenlange Mühe und Arbeit für Severino alles andere als gelohnt. Aus der Superstar-Karriere, die ja ohnehin nicht so andauernd ausfällt, wird nun wohl rein gar nichts. Das hat er sich garantiert anders gedacht. Wir können jetzt Wetten abgeben, wie lang es wohl dauern wird, bis dem Sänger ein neuer Weg einfällt, an Geld heranzukommen. Und ob der 100% legal sein wird?

Interessant an diesem Vorfall ist vor allem, dass Bushido und Co. ja auch ganz gern die bösen Jungs raushängen lassen, sogar in Konflikt mit Recht und Gesetz geraten, und trotzdem immer noch ordentlich ihre Musik verkaufen. Da gibt es also einen ordentlichen Unterschied im Empfinden von Gerechtigkeit bei den kleinen 14jährigen, die sich gern DSDS reinziehen und denen, die dem Popcasting-Alter entwachsen sind (deshalb nicht unbedingt sehr viel schlauer geworden sind) und für die definitiv alle weithin etablierten Werte nichts mehr gelten. Da hat sich Severino jetzt einfach die falsche Zielgruppe ausgesucht. Hätte er irgendwie auch vorher wissen können, oder?

Nun ist es natürlich ganz einfach, einem überführten Straftäter medial noch eins drüber zu geben. Und die Meute im Internet erbost sich ja nur zu gerne über Dinge, die eh schon geklärt sind. Spannender wäre es vielleicht zu untersuchen, warum so ein Mensch wie Severino Seeger erstmal keine so großen Bedenken hat, auch betrügerische Aktivitäten zum Gelderwerb zu nutzen. Und da sind wir dann sehr schnell bei der sozialen Stellung, die dieser Mensch in unserer Gesellschaft hat. Als Sohn eines Italieners und einer deutschen Sinti dürfte seine Jugend nicht ohne Diskriminierung, Vorurteile und auch Chancenungleichheit abgelaufen sein. Die Berufe, die er ausübt gehören eher nicht zu denen, die man so landläufig als existenzsichernd beschreiben würde. Vom Tellerwäscher zum Millionär geht's dann in Deutschland doch eher nicht. Und den Mindestlohn gibt es ja auch noch nicht so lange...
Keine Kohle, drumherum aber eine Menge Menschen, die die Scheine nur so zum Fenster rauswerfen – da kann man schonmal auf krumme Ideen kommen. Zumal das im Fernsehen manchmal ja auch wirklich gut ausgeht.

Das alles soll nicht entschuldigen, was der Mann getan hat. Eine allgemein gesellschaftliche Benachteiligung als Billigung zu nehmen für die Weitergabe des Unrechts an Schwächere (wenn auch vielleicht Reichere), ist mindestens genauso blöd wie das, was man da eigentlich anprangert. So haben schon einige Gesellschaften funktioniert mit gruseligsten Folgen – am Ende war es dann immer keiner gewesen. Mitgemacht haben trotzdem alle.

Ob Severino Seeger so etwas verstehen kann? Dass es eben doch immer auch auf die eigene Entscheidung ankommt, dass es nicht reicht, einfach nur mitzumachen und sich auf Gruppenzwang, Notsituation oder auch Unwissenheit rauszureden. In Sachen Superstar hat er jetzt eventuell schon mal eines gelernt: Sich für Freunde im Scheinwerferlicht zu entscheiden, bedeutet nicht allzu viel. Sobald sich der Wind dreht, bist du wieder allein. Und alles was vorher gemeinsam möglich schien, ist dann nur noch Rauch und Asche. Jetzt muss er sich wieder allein und selbst durchschlagen.

Von der Furcht vor so einer Situation erzählt ein bisschen auch Hero Of My Heart. Da singt Severino von der Angst, verlassen zu werden, allein zu sein – alles was er sich wünscht ist, dass die Angebetete bei im bleibt, immer und ewig. Nur nicht wieder zurück in diesen Zustand, als man niemanden hatte. Ein schöner Märchenwunsch. Der wie immer bei solchen Träumen nur wenig mit der Realität zu tun hat.

Aber das ist es ja, was eine Scripted-Casting-Reality ausmacht: Möglichst unwirkliche Träume bedienen, vielleicht sogar so zu tun, als seien sie erfüllbar und das zumeist aus sozial benachteiligten Schichten stammende Publikum damit einzulullen oder zu verwirren. Komm zu uns, wir sind eine Familie, wir sorgen uns um dich, wir finden deine Stärken...

Mit Severino Seeger zeigt DSDS ziemlich ungeschminkt, dass das Ganze multisozialkulturelle Gehabe alles andere als eine schöne Vision von Gemeinsamkeit ist. Die Show wiederholt nichts anderes als die eh schon schwierige, gesellschaftliche Realität. Dieter Bohlen ist so beliebt, weil er Menschen eben auch gnadenlos fertig machen kann – da geht es dann nicht mehr um: Jeder kann etwas aus sich machen. Da geht es um: Der Härteste überlebt. Und: Wir wollen Spaß um jeden Preis.

Severino Seeger als Gewinner hier zu sehen ist also eigentlich keine Überraschung. Er hat schon immer das gelebt, was auch hier von ihm vor laufenden Kameras permanent verlangt wird und bei dem die anderen genauso mitspielen. Statt auf Pietro-Lombardi-Sarah-Engels-Seifenoper zu machen, zeigt er wie es tatsächlich zugeht. Alles andere als fair. Aber das will bei DSDS keiner sehen.

Samstag, 16. Mai 2015

Jason Derulo: Want To Want Me

Irgendwas ist mit Jason Derulo passiert. Der Kindergartenpopstar schafft es tatsächlich immer häufiger richtig gute Produktionen an Land zu ziehen und so echte Pop-Klassiker zu fabrizieren. Da war vor anderthalb Jahren Talk Dirty, da war vor knapp einem Jahr das (leider inhaltlich völlig unter der Gürtellinie angesiedelte) Wiggle, und jetzt ist es Want To Want Me, die Vorabsingle zum neuen Album Everything Is 4.

Ja, dieser Song ist geil. Funky, sexy, eingängig, infektiös, bester Pop. Und wieder einmal bedient er sich sehr fleißig gängiger Erfolgsrezepte. Ich hab' eine Weile überlegen müssen, oder es mir nicht recht getraut zuzugeben, aber die Verweise auf The WeekNd und Robin Thicke sind doch recht eindeutig. Mit hoher Falsett-Stimme auf einem funky-Rhythmus ganz eindeutig sexuelle Gelüste besingen ... das kennen wir doch schon.

Ist deshalb nicht unbedingt schlecht. Wenn Funk und hochgepitschtes Quieken besonders gut das Zeitgefühl ausdrücken, warum soll das dann einer einzigen Person vorbehalten bleiben? Es ist lediglich so, dass diejenigen, die da auf den Zug drauf springen, eher ihr eigenes Gesicht verlieren und nicht recht einzuordnen sind.

Mir geht das bei Jason Derulo genau so. Er ist mittlerweile einer der ganz Großen im Business – aber wofür steht er eigentlich musikalisch? – Vocoder, freche Samples, meist unterirdisch machistische Texte, und jetzt eben ElektroPopFunk mit Kopfstimme?

Die Konstanten bei Jason Derulo sind weniger im musikalischen Ausdruck zu finden als in der Art, wie er sich inszeniert. Da reiht sich das aktuelle Video schön ein in das, was wir seit fünf Jahren von dem Popstar zu sehen bekommen. Körperkult in Reinform. Übersteigert sexualisiert – und immer schön an der Linie entlang: Aktiver Mann, Lustobjekt Frau.





Mit dem Video wird aber auch wunderbar das Dilemma deutlich, in dem sich der Sänger mittlerweile befindet. Zuallererst fällt auf, dass dieser Mann, der ja wirklich alles darum gibt, besonders potent und sexuell attraktiv zu erscheinen, dass dieser Mann vor allem mit sehr weiblichen Zeichen agiert: Nackt im Bett sich rekelnd, nur knapp die eine Stelle von einem Satinbetttuch(!) bedeckt, Diamanten im Ohr, kunstvoll frisiertes Kopfhaar, ansonsten komplett haarlos, Choreographien, die ordentlich Balletttraining erfordern ... "Echte Männer" wie Bushido oder Pitbull würden das meiste davon vermutlich als "too gay" oder "too pussy" bezeichnen. Und ob sich Rock-Recken wie Dan Reynolds oder Adam Levine so präsentieren würden ... ich hab' da meine Zweifel.

Jason Derulo verkörpert hier also ohne Angst ein völlig anderes Männlichkeitsbild. Das kann man schonmal als ordentlich mutig bezeichnen und auch ein bisschen froh darüber sein, dass sich die Geschlechter-Zeichen in den letzten Jahren tatsächlich so sehr verselbständigt haben. Trotzdem bleibt es in seiner Gestelztheit reichlich genug ordentlich albern. Auch eine Frau, die sich wieder und wieder mit uninspirierten Choreographien oder besonders auffälligem Schmuck als Sexobjekt in Szene setzt ist da nicht besser dran. Muss man sich nur mal Beyoncé, Shakira oder Rihanna anschauen. Alles nicht unbedingt das, was ich mir unter aufgeklärtem und vor allem selbstbestimmten Begehren vorstelle.

Der triebgesteuerte Jason Derulo, der sich bei Want To Want Me vor Geilheit tatsächlich ganz schön unterwürfig inszeniert, repräsentiert also alles andere als ein besonders fortschrittliches oder modernes Männerbild. Er hat nämlich beinahe doch das Problem, dass er in diesem Softporno-Video nicht mehr als klassischer Mann wahrgenommen wird. Seine Rolle droht in der Überinszenierung zu verschwimmen. Also zeigt er uns mit zur Schau gestellten hängenden Crunches, dass er wirklich ein Macker ist. Ein ganzer Kerl. Einer, der seinen Körper komplett im Griff hat und bestimmt wo es lang geht.

Mit dieser reichlich unvermittelt eingestreuten Szene wird deutlich: Sexualisierung und Sex gern, aber vor allem zur Selbstbestätigung – so wie die Jungs im Fitnessstudio ihre eigenen Muskeln gern im Spiegel betrachten und sich unglaublich geil finden. Ob das die Lady toll findet, interessiert nicht. Und die anderen darf man im Spiegel höchstens heimlich betrachten. Generation Selfie, die völlig eitel und selbstbezogen nur sich selbst wahrnimmt.

Es hat sich bei Jason Derulo dann also doch gar nicht so viel geändert. Nur, dass er sich dank seines Erfolges wirklich den einen oder anderen coolen Producer oder Songschreiber leisten kann. Bzw. ihm diese offeriert werden. Im Falle von Want To Want Me gehen die Credits also an Ian Kirkpatrick für die Produktion und Sam Martin (bekannt als Sänger für David Guetta) für das Songwriting. Herr Derulo bleibt weiterhin die recht austauschbare Marionette, die für die eigentlich Künstler*innen Gesicht und Stimme leihen muss.

Freitag, 8. Mai 2015

Sarah Connor: Wie schön du bist

Und damit ist sie zurück. Ein bisschen hat sie schon vor gut einem Jahr geübt. Oder getestet. Bei der Sing meinen Song-Show. Die recht unerwartet zum Publikumserfolg wurde und nicht nur die komplette Songsammlung als Album sondern tatsächlich auch einzelne Interpretationen zu kleinen Tageshits machte. Sarah Connor erlebte so ein unerwartetes Comeback. Denn wer hätte denn wirklich geglaubt, dass sie es nochmal so richtig in die Charts und in unsere Aufmerksamkeit schaffen könnte.

Ja klar, Fernsehshows der C-Sorte und trallalla. Das hat sie ja irgendwie schon immer gemacht. Sich vermarkten. Und ihr Privatleben. Da konnte man großzügig auch einfach weiterzappen. Ob da nun CC Catch sitzt oder Sarah Connor - who cares?

Ein bisschen waren wir alle auch froh, dass die 00er vorbei waren und damit irgendwie auch die Hoch-Zeit dieser Frau, die sich in enorm kurzer Zeit zu einer der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen hochgearbeitet hatte. Denn irgendwie blieb an Sarah Connor immer auch so etwas B-Promihaftes kleben. Egal wie viele Nr.1-Hits sie ablieferte und wie viele Alben sie auch verkaufte – richtig ernst genommen haben sehr viele sie nicht. Und so kam es uns eigentlich ganz gelegen, dass sie sich in den letzten vier...fünf Jahren nicht mehr so sehr ins Musikgeschäft gedrängelt hat.

Aber tot Gesagte leben eben doch länger. Und es war wirklich überraschend und ein bisschen unglaublich, dass Sarah Connor da in dieser Bergbretterbude mit Xavier Naidoo und Andreas Gaballier plötzlich Lieder auf deutsch zum Besten gab. Das war an sich schon eine schräge Kombination, die jedes Recht auf besondere Erwähnung in den Jahresbüchern gehabt hätte. Aber dann war die Interpretation obendrein auch noch glaubhaft, nahezu sympathisch. Das, was ihr mit ihren Schaut-in-mein-Leben-Soaps nie so richtig hingekriegt hat, das funktionierte 2014 plötzlich auf Anhieb.
Der ganze, schreckliche Inszenierungslack, der immer ordentlich an ihren Auftritten klebte, war plötzlich wie weggewischt. Oder zumindest nicht mehr so wichtig oder vordergründig. Und offenbar hat das nicht nur den Zuschauenden Freude gemacht, sondern auch der Sängerin selber. Denn das neue Album kommt plötzlich genauso direkt und unvermittelt daher, sogar auf deutsch: Muttersprache. Entsprechend ist die vorab auf den Markt geworfene Single eben auch ein deutsches Liedermacherballadenstück: Wie schön du bist.

Ob ich das wirklich mag, weiß ich nicht. Zumindest kommt es aber bei sehr vielen Menschen gut an. Das ist auch kein völliger Zufall. Deutsche Balladen mit emotionalem Text haben schon eine ganze Weile Konjunktur. Neu ist hier maximal, dass es mal eine Frau ist, die sich auf der Gefühlswelle durch den sparsam begleiteten Song treiben lässt.

Natürlich erfindet Sarah Connor das Genre überhaupt nicht neu. Im Gegenteil. Sie knüpft an wohlbekannte und erfolgreiche Vorbilder an. Silbermond/Juli/Rosenstolz – von allen finden sich Versatzstücke wieder in der aktuellen Veröffentlichung. Ob es die treibenden und sehr vordergründigen Drums sind, die das Lied dann glücklicherweise nicht in der Romantik-Sauce belassen, sondern ihm einen schönen rockigen Ton geben, oder ob ich mich beim Timbre der Stimme urplötzlich an AnNa R. erinnert fühle – hätte ich nicht gewusst, dass dieser Song von Sarah Connor ist, ich hätte es auch nicht ohne Hilfe erkannt.

Das ist für mich das eigentlich Überraschende an Wie schön du bist. Ich hätte nie erwartet, dass Sarah Connor so grundsätzlich auf das verzichtet, was sie irgendwie auch groß und erfolgreich gemacht hat: Glatte, ein bisschen schmalzige und viel poplastigere Produktionen.

Respekt habe ich tatsächlich vor der Konsequenz, mit der die Sängerin diesen Imagewechsel betreibt. Deutsche Texte, Konzentration auf Inhalte, Bodenständigkeit und Direktheit – das sind die neuen Beschreibungen, die ich hier aus der Schublade ziehen würde. Und diese treffen vermutlich ganz gut auch auf eine Stimmung, die sich weiter und weiter durchsetzt. Weg vom Bling Bling Luxus der 00er hin zu den eher normalen 10ern. Das kann auch Pop sein.


Dienstag, 5. Mai 2015

Robin Schulz Feat Ilsey: Headlights

Es findet gerade ein Wettrennen statt: Wer ist wohl der erfolgreichere Deep House DJ aus Deutschland?

Und dieser Wettkampf tut den beiden beteiligten Protagonisten richtig gut. Als alleiniger Shootingstar und Platzhirsch verließ sich Robin Schulz im letzten Jahr nämlich doch allzu oft auf bekannte Rezepte und immer das Gleiche. Seitdem aber spätestens zu Beginn diesen Jahres der Hamburger Felix Jaehn sehr erfolgreich, aber um Längen abwechslungsreicher, ebenfalls die populären Deep House Gewässer abzufischen begann, war es mit dem unangefochtenen Platz an der Sonne vorbei.

Ob es nun tatsächlich an der Konkurrenz direkt vor der Haustür liegt oder auch an den neuen Möglichkeiten für globale Kooperationen nach den ersten großen Hits, das was Robin Schulz mit Headlights vorlegt, das ist ernsthaft eine Überraschung. Klar bedient es nach wie vor den sehr beliebten Lounge-Sound, aber es verzichtet beispielsweise nahezu komplett auf das gern genutzte Instrumentalsample, das bislang als Wiedererkennungsmelodie herhalten musste. Kein Saxophon, kein permanent dudelndes Gitarrenfragment – ein paar sanfte Streicher im Hintergrund, die mich ein wenig an Bittersweet Symphony von The Verve erinnern, aber wirklich nur als vage Ahnung. Ein paar Pianotöne. Und vor allem eine Stimme, die wunderbar kratzig und prägnant lebensnah klingt. Keine glattgebügelte Schönheit, keine hübsche, spiegelblanke Oberfläche, keine völlige Melancholie-Sauce. Hier darf es endlich auch mal ein wenig knarzen, hier darf auch mal was im Unklaren bleiben.

Ich habe das Gefühl, dass Sängerin Ilsey Juber ganz wesentlich für diesen Einfluss zuständig ist. Als Komponistin ist sie seit knapp einem Jahr unterwegs, war an Pitbull's Fireball beteiligt – auch das ein Song, der zwar immer noch sehr typisch Pitbull war, aber mit TexMex-Sound eine hübsche ungewohnte Note hinzufügte. Ebenso schrieb sie für JLO und Mariah Carey – aber am überzeugendsten find ich dann doch, wenn sie selbst das Mikro in die Hand nimmt. Zum Beispiel in der Kolaboration mit Paris Blohm: Ein irgendwie arg kindlich-naives Stimmchen, das ich erstmal gar nicht ernst nehme, das sich dann aber zu einer ordentlichen Euphorie steigert und im überdrehten Elektrosound zum wunderbaren Sample wird.

Ähnlich funktioniert Headlights: Zunächst redet mir diese Stimme gut zu – ich weiß wie du drauf bist, ich kenne deine Sehnsüchte, alles klar – und dann kommt der leicht verruchte Moment – aber jetzt versuch' mal mit mir mitzuhalten, schaffst du das? im verschwimmenden Gebiet von Wachheit und Trance? – und schließlich hängt diese Stimme sogar noch einen Jubelgesang dran, der aber nicht einfach nur fröhlich und glücklich ist, sondern genauso auch unwirklich und unerreichbar. So schwingt Headlights also verführerisch zwischen dem Gewohnten und einer phantastischen Einbildung.

Das Video nimmt genau dieses Spiel auf. Wir befinden uns in einem Freibad voller Menschen, die dem nachgehen, was man so in einem Schwimmbad machen kann: Wasserspringen, Sonnenbaden, Verliebt sein, unter der Dusche stehen, Wassergymnastik. Alles völlig bekannte Szenen. Die skurril und überzeichnet werden, weil nirgends Wasser zu sehen ist. Maximal Sand kommt aus der Brause. Die Sonnenbräune ist so unecht, dass die beiden alten Ladies locker als geifernde Hexen durchgehen. Und zwischen diesem Panoptikum an Freaks versuchen zwei junge Menschen einen ersten zaghaften Kuss.



In dieser Kombination kann ich all die Hippie-Hipster-Deep-House-Zeichen gut ertragen. Die romantische Weltvergessenheit und die in sich gekehrte, melancholische Selbstgenügsamkeit im gleißenden Gegenlicht steht hier höchstens als ein möglicher Umgang mit der durchaus schrägen Welt. Und zeigt mir gleichzeitig, dass dadurch die Welt nicht wirklich schöner wird. Höchstens erträglicher. Oder auch lustiger. Und darum vielleicht doch auch ein wenig lebenswerter.

Freitag, 1. Mai 2015

Felix Jaehn Feat. Jasmine Thompson:
Ain't Nobody (Loves Me Better)

Ist das die neue Generation von Pop-Produzenten? Werden uns Felix Jaehn und vielleicht auch Jasmine Thompson in den kommenden Jahren begleiten?

Ein bisschen fühlt es sich so an, wenn man Ain't Nobody (Loves Me Better) hört. Das ist so schön unbeschwert, sorglos und irgendwie auch romantisch. Das ist perfekter Pop: Erzählt mir eine Geschichte, ein bisschen verträumt, mit einer Leichtigkeit als gäbe es nichts Böses auf dieser Welt. Aber so einfach ist es ja dann doch nicht. Die Liebe zu finden ist durchaus kompliziert.

Im Video dauert es tatsächlich ganze vier Minuten bis er, Skateboard fahrend und ziemlich cool, sie, Balletttänzerin mit ganz viel Sehnsucht, auf einer Dachgartenparty in seine Arme nimmt.

Ein hübsches Märchen. – Und auch ein bisschen erschreckend wie normal und alltäglich. Das muss ja gar nicht schlimm sein, aber es tut spätestens dann weh, wenn ich auf die ältesten Rollenklischees stoße. Wollen junge Frauen 2015 immer noch vor allem Ballett-Tänzerin und Prima Ballerina werden? Das ist ja eher noch schlimmer und strikter als Supermodell. – Und als Ausgleich für ihr eigentlich unerträglich geschundenes und durchgeplantes Leben sehnen sie sich nach dem ungezügelten und freien Jungen von der Straße, dessen ganzes Glück das Skateboard ist.

Die Jugend von 2015 präsentiert sich so angepasst wie selten zuvor. Sie leben die Träume ihrer Großeltern und fühlen sich dabei individuell, selbstentfaltet und wahrscheinlich sogar glücklich.
Wie spannend wäre es gewesen, die Geschichte genau rollenvertauscht zu erzählen? Oder einfach so, dass sie die Initiative ergreift und den Jungen ganz offensiv von seinem Skateboard schmeißt. Und warum muss es der Dachgarten als Partyort sein, statt der Küche im Wohnblock?

Wir befinden uns hier ganz ausdrücklich in einer gut situierten und finanziell nicht schlecht ausgestatteten Gesellschaft. Zu der es auch gehört, dass nicht zu viele der althergebrachten Werte und Rollen befragt werden. Das macht die Geschichte dann doch ein bisschen langweilig. Auch wenn die Protagonisten allesamt nicht zu glattgebürstet hübsch aussehen und im Großen und Ganzen recht authentisch daher kommen. Ich nehme Ihnen Ihre Unbeschwertheit tatsächlich ab.
Und fast möchte ich ein bisschen neidisch auf sie schauen, dass ihnen das bisschen Selbstbezogenheit wirklich reicht zum glücklich sein.

Ähnlich geht es mir mit der Produktion des Titels. Die Komposition ist erwiesenermaßen großartig. So viele verschiedene Interpret*innen haben sich daran versucht und den Song in den vergangenen 30 Jahren immer wieder zu Gehör gebracht. Darunter Versionen mit recht freier und eigenwilliger Herangehensweise. LL Cool Jay gehört ebenso zu den Interpreten wie Knorkator oder die Hermes House Band. Nicht alle Varianten sind immer auch gelungen – so manch eine, wie etwa die von Scooter, vergisst man lieber sofort wieder.

Mit der aktuellen Produktion gesellt sich eine entspannte Deep House-Version in den bunten Stil-Reigen. Im Vergleich zum doch recht synthetisch klingenden Original von 1983 besticht die Version 2015 durch eine künstliche Natürlichkeit, der ich gar nicht so direkt anhöre, dass sie aus dem Computer kommt. Das ist nahezu organisch, kein bisschen ausgedacht oder aufgezwungen. Leider dadurch auch um Einiges weniger mitreißend. Da wo vor 30 Jahren noch der Funk herrschte, gilt heute das eher zurückhaltende Mitwippen. Das ist durchaus auch eine ungewöhnliche Entscheidung, wo doch gerade Funk eine Renaissance erlebt (hat).

Die Mittelstandsjugend von heute übt sich eher in Zurückhaltung als in wilder körperlicher Exstase. In Zeiten von Neokonservatismus und Normcore keine Überraschung. Ungewöhnlich ist da eher mit welcher Selbstverständlichkeit Normalität inszeniert wird. Da gibt es keine Sekunde lang einen Zweifel an der Richtigkeit und irgendwie auch Zwangsläufigkeit des eigenen Tuns. So wie Felix Jaehn die Soundsamples aneinanderreiht komme ich gar nicht auf die Idee, dass es noch andere Möglichkeiten gäbe. Das spricht dafür, dass wir hier einen kleinen Blick auf etwas haben, das man aktuelles Lebensgefühl nennen könnte.

Wie lange dieses gültig ist und für eine große Menge stimmt, ist nicht absehbar. In der Dauerbeschallungsschleife erreicht Ain't Nobody (Loves Me Better) jedenfalls dann doch auch einen gewissen Langweiligkeitsfaktor. Vielleicht sind die beiden dann doch nur die Stars von 2015 und in einem Jahr feiern wir schon wieder andere Held*innen.


Zum Vergleich an dieser Stelle auch das Original von Rufus & Chaka Khan aus dem Jahr 1983 (in dieser Version übrigens nie zu einem Charthit in Deutschland geworden)