Irgendwas ist mit Jason Derulo passiert. Der Kindergartenpopstar schafft es tatsächlich immer häufiger richtig gute Produktionen an Land zu ziehen und so echte Pop-Klassiker zu fabrizieren. Da war vor anderthalb Jahren Talk Dirty, da war vor knapp einem Jahr das (leider inhaltlich völlig unter der Gürtellinie angesiedelte) Wiggle, und jetzt ist es Want To Want Me, die Vorabsingle zum neuen Album Everything Is 4.
Ja, dieser Song ist geil. Funky, sexy, eingängig, infektiös, bester Pop. Und wieder einmal bedient er sich sehr fleißig gängiger Erfolgsrezepte. Ich hab' eine Weile überlegen müssen, oder es mir nicht recht getraut zuzugeben, aber die Verweise auf The WeekNd und Robin Thicke sind doch recht eindeutig. Mit hoher Falsett-Stimme auf einem funky-Rhythmus ganz eindeutig sexuelle Gelüste besingen ... das kennen wir doch schon.
Ist deshalb nicht unbedingt schlecht. Wenn Funk und hochgepitschtes Quieken besonders gut das Zeitgefühl ausdrücken, warum soll das dann einer einzigen Person vorbehalten bleiben? Es ist lediglich so, dass diejenigen, die da auf den Zug drauf springen, eher ihr eigenes Gesicht verlieren und nicht recht einzuordnen sind.
Mir geht das bei Jason Derulo genau so. Er ist mittlerweile einer der ganz Großen im Business – aber wofür steht er eigentlich musikalisch? – Vocoder, freche Samples, meist unterirdisch machistische Texte, und jetzt eben ElektroPopFunk mit Kopfstimme?
Die Konstanten bei Jason Derulo sind weniger im musikalischen Ausdruck zu finden als in der Art, wie er sich inszeniert. Da reiht sich das aktuelle Video schön ein in das, was wir seit fünf Jahren von dem Popstar zu sehen bekommen. Körperkult in Reinform. Übersteigert sexualisiert – und immer schön an der Linie entlang: Aktiver Mann, Lustobjekt Frau.
Mit dem Video wird aber auch wunderbar das Dilemma deutlich, in dem sich der Sänger mittlerweile befindet. Zuallererst fällt auf, dass dieser Mann, der ja wirklich alles darum gibt, besonders potent und sexuell attraktiv zu erscheinen, dass dieser Mann vor allem mit sehr weiblichen Zeichen agiert: Nackt im Bett sich rekelnd, nur knapp die eine Stelle von einem Satinbetttuch(!) bedeckt, Diamanten im Ohr, kunstvoll frisiertes Kopfhaar, ansonsten komplett haarlos, Choreographien, die ordentlich Balletttraining erfordern ... "Echte Männer" wie Bushido oder Pitbull würden das meiste davon vermutlich als "too gay" oder "too pussy" bezeichnen. Und ob sich Rock-Recken wie Dan Reynolds oder Adam Levine so präsentieren würden ... ich hab' da meine Zweifel.
Jason Derulo verkörpert hier also ohne Angst ein völlig anderes Männlichkeitsbild. Das kann man schonmal als ordentlich mutig bezeichnen und auch ein bisschen froh darüber sein, dass sich die Geschlechter-Zeichen in den letzten Jahren tatsächlich so sehr verselbständigt haben. Trotzdem bleibt es in seiner Gestelztheit reichlich genug ordentlich albern. Auch eine Frau, die sich wieder und wieder mit uninspirierten Choreographien oder besonders auffälligem Schmuck als Sexobjekt in Szene setzt ist da nicht besser dran. Muss man sich nur mal Beyoncé, Shakira oder Rihanna anschauen. Alles nicht unbedingt das, was ich mir unter aufgeklärtem und vor allem selbstbestimmten Begehren vorstelle.
Der triebgesteuerte Jason Derulo, der sich bei Want To Want Me vor Geilheit tatsächlich ganz schön unterwürfig inszeniert, repräsentiert also alles andere als ein besonders fortschrittliches oder modernes Männerbild. Er hat nämlich beinahe doch das Problem, dass er in diesem Softporno-Video nicht mehr als klassischer Mann wahrgenommen wird. Seine Rolle droht in der Überinszenierung zu verschwimmen. Also zeigt er uns mit zur Schau gestellten hängenden Crunches, dass er wirklich ein Macker ist. Ein ganzer Kerl. Einer, der seinen Körper komplett im Griff hat und bestimmt wo es lang geht.
Mit dieser reichlich unvermittelt eingestreuten Szene wird deutlich: Sexualisierung und Sex gern, aber vor allem zur Selbstbestätigung – so wie die Jungs im Fitnessstudio ihre eigenen Muskeln gern im Spiegel betrachten und sich unglaublich geil finden. Ob das die Lady toll findet, interessiert nicht. Und die anderen darf man im Spiegel höchstens heimlich betrachten. Generation Selfie, die völlig eitel und selbstbezogen nur sich selbst wahrnimmt.
Es hat sich bei Jason Derulo dann also doch gar nicht so viel geändert. Nur, dass er sich dank seines Erfolges wirklich den einen oder anderen coolen Producer oder Songschreiber leisten kann. Bzw. ihm diese offeriert werden. Im Falle von Want To Want Me gehen die Credits also an Ian Kirkpatrick für die Produktion und Sam Martin (bekannt als Sänger für David Guetta) für das Songwriting. Herr Derulo bleibt weiterhin die recht austauschbare Marionette, die für die eigentlich Künstler*innen Gesicht und Stimme leihen muss.
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