Zum Jahresende soll es hier mal um einen gehen, der vermutlich in den kommenden Monaten sehr präsent sein wird im Pop-Business: Tim Bergling – besser bekannt unter einem seiner Pseudonyme AVICII. Gerade ist sein Track Levels (oder auch LE7ELS) äußerst beliebt, sowohl in seiner originalen Form als Clubtrack als auch mit Rap von Flo Rida angereichert und als Good Feeling veröffentlicht.
Wer ist nun dieser Tim Bergling alias Tim/Berg alias Tom Hangs alias AVICII? Sehr wahrscheinlich der nächste David Guetta, zumindest lassen das seine aktuellen Tracks vermuten. Die klingen nämlich arg nach dem Sound des Franzosen. Bei seinem ersten erfolgreichen Hit hierzulande, My Feelings For You war das noch ganz und gar nicht so. Der war zunächst mal noch ein wenig widerborstig und brauchte eins zweimal ehe er im Ohr war. Das ist bei Levels schon komplett wegproduziert: klare eingängige Hookline im Synthie-Sound und ein Refrain-Sample der ebenfalls mindestens eingängig, wenn nicht gar infektiös ist.
Im Grunde ist damit auch schon alles über Levels gesagt: ein sehr gut funktionierender und eingänger Dancetrack, der auf keiner Jahresendparty fehlen dürfte, mittlerweile auch schon verramscht in zahllosen Remixen und MashUps. Go party!
Nun ist also Weihnachten. Zeit für alles Mögliche. Schauen wir mal in die Liste wie 2012 die deutschen Musikkonsumenten ihr Fest gestalten. Da haben wir auf der 1 einen melancholischen Retro-Song, der mindestens die 60er wieder heraufbeschwört, auf der 2 ist ein bittersüßes Stückchen Pop über ein wiedergewonnenes Leben und bei Platz 3 geht es dann doch zur Sache: fröhlich-naive Partystimmung wird hier propagiert. So sieht es also aus – besinnlich besinnlich bis nichts mehr geht und dann ohne jegliche Schwermut abfeiern ebenfalls bis zum Umfallen.
Zwischendrin tummelt sich seit ein paar Tagen auch eine Ballade, die nicht nur wegen ihrer verzuckerten Stimmung gut ankommt, sondern die obendrein noch ordentlich prominent präsentiert wird in einem Film, der mit Sicherheit zu den Familienweihnachtsausflugszielen gehört: Happy Feet 2. Kuschelige Pinguine vertreiben per Tanz böse Mächte und ein kleiner Pinguin ist der Held aller, was ihm dann endlich auch die nötige Menge Stolz und Selbstvertrauen gibt. Ach ja! – So ungefähr jedenfalls.
Wie gewohnt sind die Stimmen in solchen Familien-Animationen mit Stars besetzt. In der englischen Originalfassung kommen Brad Pitt, Matt Damon, Elijah Wood, Robin Williamsund P!NK zu Wort. Letztere darf außerdem den Leitsong des Films singen: Bridge Of Light. Und genau dieser Song schmeichelt sich also in die Ohren, ist untrennbar mit dem Kinoerlebnis verknüpft und wird so zum Verkaufshit.
Die Ballade will Kraft geben und Zuversicht – die Welt ist nicht so schwarz wie sie aussieht und jede/r hat mindestens eine Person die sich um einen sorgt und mit Liebe beschenkt. So ist die Botschaft des Titels. Kann man sich etwas Passenderes zu Weihnachten vorstellen?
Und noch so ein Song, der mit Unverstelltheit und Authentizität punktet: Somebody That I Used To Know vom Australier Gotye. Aber wiederum in einer kleinen Abwandlung. Zeigt sich sehr schön am Video: das beginnt mit einem nackten Menschen vor hellem Hintergrund – ganz neutral, ganz ursprünglich und natürlich. Und dann wird dieses Video samt Person an- und ausgemalt, so dass ein buntes Farbenspiel entsteht. Ganz Kunst ... aber trotz allem weit entfernt von dem, was wir jetzt als künstlich oder gekünstelt bezeichnen würden. Körperbemalung, das ist ja eher so Spür-Mich-und-Finde-meine-Mitte-Kunst, häufig zu therapeutischen Zwecken, manchmal auch einfach nur zum naiv-spaßigen Happening. Da haben also Kunst und Körper eine Einheit gefunden … und an dieser Stelle können wir hunderte philosophische Text lesen.
Für mich bleibt bei diesem In-Eins-Sein dennoch irgendwie ein mulmiges Gefühl. Und das hängt ganz wesentlich mit dem künstlerischen zusammen, das da fast organisch mit Körper und Mensch und Glück einhergeht. Irgendwie kann ich mit Kunst, die eher Fragen aufwirft, mich fordert oder mich total betrifft mehr anfangen. Alles andere ist vielleicht für die Machenden und Kreativen ganz schön – ich bleib aber weitestgehend draußen, zucke mal kurz mit den Schultern und gehe weiter.
Jetzt zur Weihnachtszeit ist natürlich solch ein eher einkuschelnder Sound beliebter. Wer will sich schon zum Jahresende auseinandersetzen – bzw. passiert das beim Familienbeisammensein wahrscheinlich ohnehin genug. Und so ganz glatt ist der Titel ja dann auch nicht. Schließlich geht’s um die Aufarbeitung einer Trennung. Insofern passt Somebody That I Used To Know perfekt zu den Feiertagen: von außen beschaulich schön, auch ein wenig romantisch-melancholisch – innen geht’s dann aber doch um Verdruss, Missverständnisse und natürlich auch ’ne Menge Schmerz. Um im Bild des Videos zu bleiben: hier geht’s auch um eine ungeschminkte Abrechnung.
Und jetzt behaupte ich einfach mal: diejenigen, die diesen Titel gerade über alles lieben und kaufen bzw. downloaden, haben genau diese Raffinesse erkannt und schätzen den Song deswegen. Frohes Fest wünsche ich.
Sie ist wahrscheinlich die erfolgreichste Künstlerin des Jahres. Zumindest, wenn man Nachrichten über sie liest, dann geht es immer nur um Superlative: die erste britische Künstlerin, die innerhalb eines Jahres drei Millionen Exemplare eines Albums verkaufen konnte, die erste britische Künstlerin die in den U.S.A. zwei Nummer 1 Hits von einem Album landen konnte, die erste Künstlerin, die es schaffte 16 Wochen lang mit einem Album die britischen Charts anzuführen ... Adele hat Popgeschichte geschrieben. Vielleicht nicht ganz so deutlich in Deutschland, aber auch hier ist mit Someone Like You mittlerweile der dritte Titel zu einem eindeutigen Hit geworden, der im Verkauf genauso gut abschneidet wie beim Einsatz in den Medien. Adele ist auch in Deutschland ein Star, auf den sich irgendwie alle einigen können.
Es begann Anfang des Jahres mit dem großartigen Rolling In The Deep, welches im Februar für zwei Wochen an der Spitze der deutschen Singlecharts stand und bis heute unter den 100 bestverkauften Tracks der Woche zu finden ist. In ihrer Heimat Großbritannien setzte das richtig große Adele-Fieber schon etwas eher ein. Ende September 2010 sang sie in der britischen Variante von X Factor den Titel Make You Feel My Love von ihrem Debüt Album 19. Daraufhin war die Nachfrage nach dem Titel enorm und als das Album 21 folgte und spätestens als sie zur Verleihung der BRIT awards im Februar 2011 Someone Like You live interpretierte, war es eine regelrechte Adele-Hysterie die losgetreten war. Weder für ihre Alben noch für ihre Singles gab es nun ein Halten mehr.
In Deutschland dauerte es bis zum Herbst, ehe der Someone Like You als Single-Download stärker promoted wurde. Bis heute ist der Titel nicht auf CD-Single erhältlich. Und trotzdem gehört er zu den erfolgreichsten und beliebten. Offensichtlich tut sich nun auch in Deutschland ganz gehörig etwas auf dem Musikmarkt. Gerüchten zufolge wollen die Majors im Jahr 2012 die CD-Produktion mehr oder weniger einstellen. Im Fall von Adele und dem Independent-Label XL hat dieser Verzicht auf ein physisches Produkt bereits stattgefunden und bewiesen, dass es keinen größeren Schaden anrichtet. Ausholen könnte ich an dieser Stelle und noch einmal untersuchen, wo denn das so häufig behauptete gewaltige Innovationspotenzial der Majors liegt … Geschenkt!
Someone Like You ist eine wunderschöne, emotionale Piano-Ballade. Da gibt es nichts weiter als Adeles Stimme und das Klavier. Es ist auch ein wenig ungewöhnlich, dass eine solch sparsam instrumentierte Aufnahme derart erfolgreich ist. Bei Set Fire To The Rain und noch mehr bei Rolling In The Deep war die Instrumentierung und Produktion wesentlich pop-orientierter – insofern ist deren Erfolg weder verwunderlich. Der komplette Verzicht auf Geigen und Schlagzeug machen Someone Like You einzigartig. Und hier drückt sich vielleicht wirklich das aus, was in letzter Zeit unter dem Schlagwort Authentizität, Wahrhaftigkeit und Echtheit immer wieder durch irgendwelche Analysen und Medienberichte geistert. Natürlich ist auch Adele in gewisser Weise eine Inszenierung – aber eben eine, die auf etwas Natürliches, Echtes verweist. Und das auch (bzw. gerade) funktioniert im kleinen, überschaubaren Rahmen, im Club. Es ist also nur konsequent und richtig, dass Adele gern mal auf die großen Konzertbühnen verzichtet. Sie weiß nur zu genau, dass sie vor 20.000 Menschen eigentlich nur noch verlieren kann – zu viel Technik, zu viel Show wäre nötig um das zu vermittlen, was sie gern transportieren möchte.
Interessanterweise sind es ja gerade zwei Titel, die eine ähnliche Richtung beschreiben obwohl sie völlig verschieden sind. Lana Del Rey ist die andere Frau, bei der immer wieder die Begriffe Echtheit und Authentizität fallen – allerdings weil an ihr so gar nichts echt ist. Wahrscheinlich ist es genau deshalb auch völlig überflüssig beide zu vergleichen. Sie nebeneinander zu stellen erklärt trotzdem viel über unser Leben heute und unsere Sehnsüchte. Welche von beiden recht behält, wissen wir in ein paar Jahren.
Vor ungefähr zwei Monaten tauchte eine Künstlerin mit einem Titel allerorten auf und war auf Anhieb so etwas wie Everybody’s Darling. Lana del Rey war geboren und die halbe Welt suchte sich Finger und Augen wund nach Informationen über sie. Was zu finden war, waren die ewig gleichen Informationen – schön voneinander abgeschrieben – und natürlich dieser unwiderstehliche Song Video Games. Wenn man sich nicht sofort mit dem ersten Hören sicher war, dann passierte spätestens bei der dritten Wiederholung dieser Sucht-Effekt. Video Games war drin im Kopf und drauf auf der Liste mit den Lieblingsohrwürmern.
Zum unwiderstehlichen Lied gehört natürlich auch ein Video. Da steht also eine unglaublich junge Frau nahezu emotions- und reglos und singt dieses Lied. Alles ist enorm in eine pastellfarbene Erinnerungssauce getaucht und irgendwie fragt man sich, was die Geschichte hinter dieser endlos romantischen Traurigkeit eigentlich ist. Wirkliche Antworten gibt es nicht. Das tut dem Interesse allerdings keinen Abbruch.
Schließlich folgen auch Live-Auftritte – sogar in Deutschland. Die taz feiert die Sängerin danach auch gleichmal als „Zukunft des Pop“ und „Retro Göttin“. Und wahrscheinlich ist das sogar berechtigt. Ein paar Tage später im Fernsehen bei Ina’s Nacht bleibt von der inszenierten Coolness und Einfachheit nicht mehr so viel übrig. Da sieht es dann wirklich wie ein gelangweiltes Vorstatdmädchen mit aufgeklebten Fingernägeln aus, die wenigen Gesten wirken eher unbeholfen plump und selbst die Magie der Stimme will sich irgendwie nicht einstellen. Ist die wohl kalkulierte Inszenierung so schnell an ihr Ende geraten? Geht’s vielleicht doch nicht ganz ohne wenigstens ein Fünckchen Authentizität und Selbst? Die Kulturkritiker und die Hobby-Pop-Fans dürfen sich darüber in den nächsten Tagen und Wochen gern streiten. Das Album ist für Januar angekündigt und wird vermutlich endgültig unter Beweis stellen, was da dran ist an dieser Lana del Rey. In der Zwischenzeit lässt sich ganz ohne Ideologie und Deutungszwang Video Games hören, denn ein schönes Lied ist es immer noch.
Der Auftritt bei Inas Nacht.
An dieser Stelle aber auch der Tipp: der zweite Song auf der CD heißt Blue Jeans und ist mindestens genauso infektiös wie Video Games