Freitag, 26. Dezember 2014

Hozier: Take Me To Church

Interessant, wie sich so die Wahrnehmung und Bewertung eines Liedes ändert durch die Umgebungsvariablen. Ich meine damit nicht nur den überbreiten kommerziellen Erfolg, den Take Me To Church von Hozier erfahren hat, nachdem es in der Casting-Show The Voice of Germany durch die spätere Gewinnerin Charley Ann Schmutzler und Hozier himself performt wurde. Das ist ein bekannter Effekt: Medienpräsenz, emotional aufgeladen und inszeniert produziert Hits.

Interessant ist, wie dieser Effekt auch im Kleinen wirkt: Da wo nicht der Einschaltquoten-Vorschlaghammer eingesetzt wird. Bei Take Me To Church war das ungefähr so: Irgendwann im Sommer erschien das Lied. Und es hinterließ recht schnell einen Eindruck. Das war nicht einfach nur "noch so ein Singer-Songwriter/Folksong", der die Popularitätswelle von James Blunt, Passenger und Co nutzte um Aufmerksamkeit zu generieren. Das war ein Titel, der auch eine gewisse Sperrigkeit hatte, der nicht ganz so einfachgestrickt selbstbemitleidend daherkam und die Welt altrosa färbt.

Es war vielleicht auch diese Mischung aus melancholieschwangerer, sehr reduziert instrumentierter Strophe und fast schon euphorisch soulgetränktem Refrain, der aber dann doch nicht im Freudentaumel mündet, sondern irgendwie einen dunklen Beigeschmack behält. So als wären all die Versprechen schon längst wieder aufgehoben und gebrochen – zumindest nicht mehr gültig. Ein Liebeslied, das nur bedingt so klingt wie die uneingeschränkte Liebe.
Mindestens unterbrochen durch dazwischengestreute "Amen"-Gesänge im jahrtausendealten Kirchenstil. Eine Ewigkeit, die auch erdrücken kann.

Ich hab mich damit erstmal auch ordentlich schwer getan. Warum dieser Bezug auf die Religion und Kirchenrituale? Warum dieses Bild, das ja irgendwie auch Hochzeit für die Ewigkeit und Unveränderbarkeit assoziieren lässt. – Für Hozier, der aus dem streng katholischen Irland stammt, lässt sich der Bezug wahrscheinlich noch recht gut rekonstruieren. Auf der grünen Insel funktionieren einige Dinge noch anders. Auch traditionelle Musik oder eben Folk sind in Irland nicht das, was wir aus Nordamerika so kennen. Da sind einige Traditionen durchaus mit Leben gefüllt und nicht bloß starre Form – auch wenn sie schon Tausend Jahre lang gelten. Ein Musiker wie Andrew Hozier-Byrne ist deshalb im Bezug auf solche Formen mindestens so zeitgemäß wie ein Produzent in der Art von Diplo.

Dass diese Auseinandersetzung mit der regionalen Umgebung dann doch in so ziemlich der kompletten westlichen Welt verstanden und geschätzt wurde, das blieb mir dennoch etwas schleierhaft. Die englischsprachigen Gebiete hatten da sicher noch klar den Vorteil, die Anspielungen und verbalen Umdrehungen direkt zu verstehen, die Abgründe der bedingungslosen Anbetung direkt serviert zu bekommen und den Bruch mit Traditionalismus auch verbal zu verstehen. Da lassen sich dann doch schnell Anküpfungspunkte finden zum eigenen Leben - so aufgeklärt und abseits von jahrhundertealtem Zeug sind all unsere Gesellschaften ja bei weitem nicht.

Aber was assozieren Menschen in Schweden oder Belgien mit dem Titel? Oder in der Schweiz und Österreich?

Sicher hat die vielschichtige Vertonung ihren Teil dazu beigetragen. Die Geschichte wird nicht einfach in einem schönen Mitsinglied dargeboten, sondern konfrontiert uns mit Brüchen und Fragezeichen. Ohne zu spröde zu werden - es bleibt eine bekannte Situation und Atmosphäre. Wohl aber mit einigen Untiefen.
Aber, die kompositorische und lyrische Qualität ist hier nur eine Hälfte des Erfolges. Mindestens gleich viel dürfte das Video zum Song beigetragen haben. Und damit wäre ich wieder bei meiner Anfangsgeschichte: Die mediale Inszenierung macht aus einem Song, den ich vielleicht ganz hübsch finde plötzlich etwas, das noch viel viel mehr transportiert und beinhaltet.



Brendan Canty benutzt im Video sehr deutliche Bilder und eine eindeutige Story, um damit die Geschichte zu erzählen von der Liebe, die so überzeugend und selbsterklärend ist, dass sie erst einmal nicht darüber nachdenkt, was Konventionen bedeuten. Und die genau deshalb plötzlich außerhalb von Normen steht.

Auch das Video hinterlässt Fragen: Was treibt die Meute eigentlich zu so viel Hass? Wodurch fühlen Sie sich bedroht? Ist die russische Gesellschaft tatsächlich auf dem Weg solche Bilder zur Normalität werden zu lassen? Und sind solche Geschichten in Mittel-/Westeuropa wirklich undenkbar?

Nun hat sich Andrew Hozier selbst ausreichend dazu geäußert, dass sein Song keineswegs (nur) als Hymne der Homosexuellen-Bewegung gemeint ist. Es geht ihm um Setzungen und Normen jedweder Art und wie diese durch das Gefühl der Zuneigung außer Kraft gesetzt werden können. Diese Wendung, diese Tiefe beeindruckt mich am meisten. Ein einfaches Liebeslied, das eine politische Botschaft in sich trägt – das ist im aktuellen Pop doch eher selten. - Schön, dass es in den letzten Monaten doch einzelne Protagonisten versuchen, sich gesellschaftskritisch zu positionieren. Auch und gerade in einem Umfeld, dass ja eher von Oberflächlichkeit geprägt ist. Manches mal sind diese Versuche eher zaghaft. Manchmal gehen sie auch ordentlich daneben. Dennoch: Vielleicht befinden wir uns gerade wieder in einer Zeit, in der gesellschaftliche Auseinandersetzung wichtig und essentiell wird. Das würde allerdings auch bedeuten, dass schon einiges in unserem Zusammenleben ordentlich schief läuft.

Sonntag, 21. Dezember 2014

KWABS: Walk

Soul ist immer noch da. Es gab und gibt Ansätze, den Sound ins 21. Jahrhundert zu transformieren. Ein paar britische Sänger gehen hier ganz vielversprechende Wege. Die USamerikanischen Protagonisten lassen sich eher auf die Kombination Euro-Großraumdisco vs. Soulstimme ein - da muss man sich selbst nicht zu sehr von seinen Ursprüngen entfernen.

Aber Soul ist auch in seiner nahezu ungebrochenen und ursprünglichen Version vorhanden. Und erfolgreich. Das ist nach wie vor erstmal auch etwas seltsam. Hat sich seit der Etablierung des Stils gesellschaftlich wirklich so wenig getan? Oder ist Soul einfach Ausdruck eines universell menschlichen Gefühls?

Anders gefragt: Was treibt einen jungen Menschen wie KWABS so zu singen, als sei es 1960? Seiner Biographie auf wikipedia kann man entnehmen, dass er schon recht früh mit sehr zeitgemäßen Künstlern zusammen gearbeitet hat. Goldie steht da genauso wie S O H N. Und wenn man ganz genau hinhört, dann identifiziert man tatsächlich den einen oder anderen Rhythmusbruch bei Walk. Aber insgesamt ist der Titel doch schon ordentlich glattgebügelt, wenig überraschend und konventionell. Vor allem, wenn man die Vorgängerproduktionen der EP Wrong Or Wright als Vergleich nimmt.

Nun weiß ich natürlich nicht, was KWABS dazu treibt sich von der zeitgemäßen Ausdrucksform abzuwenden und lieber ins konservative Lager zu wechseln. Zu sehen, dass ausgerechnet dieser Titel ihm den kommerziellen Durchbruch einbringt, erzählt allerdings einiges. Und lässt mich arg erschaudern. Die musikkonsumierende Jugend von 2014 ist also alles andere als zukunftszugewandt, euphorisch oder auf Eigenes aus. Lieber schön affirmativ zum Bestehenden, gern auch nostalgisch rückwärtsgewandt - immer noch Normcore mit einem Versatzstück Hipsterismus. Keine neuen Lebensentwürfe in Sicht.

Vielleicht hat irgendjemand KWABS gewarnt: Wenn du jetzt nicht gleich einen Hit landest, dann ist es aus mit der Karriere. Immerhin hat er sich ja auch für einen Plattenvertrag mit einem Major-Label entschieden. Da herrschen kommerziell schon ganz ordentliche Zwänge. Stilistisch darf es nicht zu wild werden. Und KWABS, der nichts anderes machen will als Musik - und diese Musik soll ja auch bei den Menschen ankommen - KWABS denkt sich: Ok, mach ich mal was massenkompatibles, was für die Charts.

KWABS scheint da für die kommenden Jahre noch ein ganzes Stück an Selbstfindung vor sich zu haben. Kommerziell erfolgreich und restaurativ oder dann doch ausprobierend, was im Heute alles möglich ist? Bei Walk ist das Video zumindest um Jahrzehnte dem Sound voraus. Macht den Song aber nicht wirklich spannender.



Zum Vergleich an dieser Stelle auch der Vorgänger Wrong Or Wright:



Freitag, 12. Dezember 2014

James Newton Howard feat. Jennifer Lawrence:
The Hanging Tree

Was ist denn das? - Popsongs, die durch Filme berühmt werden sind nicht so selten. Für den Abspann wird ganz gern ein eingängiges Stück gesucht, dass dann auf dem Nachhauseweg noch im Ohr rumhängt und dazu verführt, sich die entsprechende Scheibe auch in echt zu holen. Bei The Hanging Tree liegt der Fall ein bisschen anders.

Der Song ist so dicht dran am pathetischen Originalsoundtrack - eigentlich funktioniert so etwas nur im Kino. Offenbar ist 2014 heroisch genug, um nun auch solche Tracks zu wahren Hits zu machen. Klar, patriotische Europäer gehen massenweise auf die Straße um ihre Angst vor dem wenig Bekannten und Fremden auszudrücken, manchmal zünden sie auch Unterkünfte an, in denen Menschen leben, die wesentlich ärmer dran sind als sie selbst. Macht nichts - es herrscht Krieg auf der Welt. Nicht nur in arabischen Ländern, in Israel oder der Ukraine. Auch hier ist es offenbar nicht mehr aushaltbar, müssen sich die Menschen bis zur Unkenntlichkeit verbiegen und auf alles verzichten, was das Leben wertvoll macht.

In solch eine empfundene Ungerechtigkeit (nicht unbedingt reale Situation) prescht nun das Science-Fiction-Kriegs-Epos The Hunger Games/Die Tribute von Panem. Und bedient einmal mehr das Gefühl von: Zeit, dass wir uns zur Wehr setzen und für unsere Freiheit kämpfen.

In der Filmhandlung besitzt diese Entscheidung durchaus eine gewisse Logik und Zwangsläufigkeit. Katniss wird durch ein böses System (böse Menschen) in eine unhaltbare Existenz gezwungen, muss beständig um ihr Leben kämpfen ohne sich dafür entschieden zu haben. Diesen Zwang umzukehren, gegen seine Verursacher zu richten, ist ein folgerichtiger Trick.

Aber gerade der Einsatz, die Inszenierung von The Hanging Tree erzählt, welche Kehrseite der Entschluss zum kriegerischen Kampf auch hat. Aus dem Lied der Kindheitserinnerung wird ein Propaganda-Schlachtsong. Mittelalter pur, Weltkriegspropaganda in Bestform. Gleichzeitig und logischerweise wird hier ausgeblendet, dass eine Schlacht, ein Krieg immer auch Verlust an Menschlichkeit bedeutet. Und in den schlimmsten und häufigsten Fällen weiteren Hass und Gewalt nach sich zieht.

Die Komponisten des Songs, Jeremiah Fraites und Wesley Schultz von den Lumineers, lassen sich durch solche Gedanken natürlich nicht beeinflussen. In ihrer kindlich naiven Art bedienen sie fleißig die guten, alten Werte und Einstellungen. Märchen brauchen ein Gut und ein Böse. Märchen brauchen auch Helden, die um ihr Leben kämpfen und dafür eine Menge anderer Wesen töten. Helden können nur dann wahrhaft groß sein, wenn sie zuvor leiden, sich selbst überwinden und dadurch unverletzbar werden. Ein beliebtes Sujet im derzeitigen Mainstream-Pop. Nichts gelernt aus der Geschichte. Geschichte - was ist das überhaupt?

So schwebt also The Hanging Tree wunderbar im zeitlosen Raum. Die orchestrale Pathos-Sauce von James Newton Howard drübergegossen, wälzt schließlich alles platt, was da noch an Emotion, Zartheit und irgendwie individueller Verortung vorhanden sein könnte. Im Science-Fiction-trifft-Mittelalter-Drama herrscht am Ende nur noch der Kampf. Kein Vorher, kein Nachher - kein Zweifeln, kein tragisches persönliches Schicksal. Es gibt immer die Anderen, immer die tödliche Gefahr. Jegliche Alternative ist undenkbar. Der patriotische Krieg hat seine eigenen Gesetze. Ich hätte nicht gedacht, dass sich eine große Masse dessen nicht mehr bewusst ist.

Samstag, 6. Dezember 2014

Band Aid 30: Do They Know It's Christmas? (Deutsche Version)

Ich hab's ja schon angekündigt. Nachdem ich mich in der letzten Woche der britischen Neuaufnahme des Weihnachts-Spenden-Projekts gewidmet habe, ist nun die deutsche Variante an der Reihe. Erstmals seit 1984 haben sich Musik-Größen aus Deutschland daran gemacht, die britische Idee direkt zu unterstützen. Das ist mal was Neues.

1984/85 versammelte Wolfgang Niedecken nach britischem und US-amerikanischem Vorbild eine recht illustre Schar als Band für Afika und nahm den eigens komponierten Titel Nackt im Wind auf.
2003 waren es Casting-Sternchen wie die No Angels, Bro'Sis oder Overground, die unabhängig und eigenständig Do They Know It's Christmas? noch einmal einspielten und mit einem Teil des Erlöses die SOS-Kinderdörfer unterstützten.

Nun also offiziell und zeitgleich zur britischen Kampagne die deutschsprachige Version. Ich wiederhole meine Vermutung aus der letzten Woche: Die Ebola-Epidemie hat offenbar mehr Potenzial Menschen zum Handeln zu bewegen als noch eine Hungersnot. Weil die Krankheit sehr viel schneller und direkter auch uns in Europa betreffen kann? Immerhin gab es die großen Medienmeldungen über Ebola-Infizierte in Europa/Deutschland im Herbst schon - und genügend Aufregung über mögliche Ansteckungsrisiken auch. Ist die große Motivation sich zu engagieren oder zu spenden also auch ein Anzeichen für Angst vor der eigenen Betroffenheit?

Das Projekt selbst sieht erst einmal - na vor allem alt aus. Campino, Udo Lindenberg, Peter Maffay, Wolfgang Niedecken, Jan Josef Liefers – alles jetzt nicht die Jüngsten. Stars um die 50, die im Geschäft noch ordentlich mitmischen, aber weniger für besonders frischen und neuen Sound stehen. Alles schon ordentlich abgehangen. Auch die etwas Jüngeren wie Jan Delay, Die Fanta 4, Anna Loos, Gentleman oder Max Herre sind jetzt nicht unbedingt die Stars der Generation Y/Head down. Na gut, beim zweiten Hinschauen sind sie aber doch beteiligt die Youngsters: Milky Chance, CRO, Philipp Poisel, Marteria, Jennifer Rostock, Andreas Bourani – das sind gar nicht so wenige. Ziemlich gut zusammengetrommelt - da dürfte sich jetzt wirklich eine breite Masse angesprochen fühlen. Sofortiger Platz Nummer 1 in den Verkaufscharts bestätigt das.

Entsprechend der Zusammensetzung ist die deutsche Version dann auch eine eher rockorientierte Variante. Hier lässt sich sehr schön der Unterschied zwischen dem britischen und dem deutschen Business ablesen. Großbritannien insgesamt sehr jung, sehr frisch (es dürfen auch ein paar gestandene Veteranen mitmachen, aber nicht zu viele), dementsprechend auch sehr zeitgemäß eingespielt. Deutschland dagegen auf das vertrauend, was seit 30 Jahren schon anerkannt und bewährt ist, nicht zu viele Experimente, ein bisschen Sprechgesang ist ok, aber nicht zu viel, soll ja nicht verschrecken. Und so kommt dann eine doch eher seichte Rocknummer raus, so wie es Jan Delay, die Sportfreunde Stiller oder auch Jan Josef Liefers in den letzten Monaten bereits vorgelegt haben. Spannender wäre da gewesen, Jennifer Rostock oder auch den Broilers ein bisschen mehr musikalischen Einfluss zuzugestehen. Ist doch irgendwie schon bezeichnend, wenn als einer der wenigen beeindruckenden Momente der Part von Campino im Gedächtnis bleibt.

Tatsächlich bemerkenswert ist der Umgang mit dem Text. Die Kombination Campino/Marteria/Thees Uhlmann/Sebastian Wehlings hat eine schöne Mischung gefunden aus Zynismus und direkter Ansprache. Los geht es mit dem alljährlichen Weihnachtsrausch-Koma, der Menschen tatsächlich dazu treibt sinnlose Lichterherzen-Rekorde aufzustellen. Aber schnell wird der Blick von der Alltags-Selbstbezogenheit abgewandt. Und schafft wirklich einen differenzierten Blick auf das, was uns unter dem Begriff "Afrika" immer wieder in den Medien präsentiert wird. Das gelingt der ziemlich stark vertretenen Gruppe der deutschen Poeten und Lyriker auch eher selten.



Um so konträrer die von Patrice geäußerte Kritik: In der Vermarktung herrscht dann nämlich genau die Verkürzung wieder vor, die im Songtext selbst beklagt wird. Nichts von Vielfalt - nichts von Konzentration auf Westafrika, wo die Epidemie am stärksten wütet. Einzig und allein Afrika, der kranke, hungernde, arme Kontinent ...

Und schon sind wir mittendrin auch in der Diskussion was solche Charity-Songs überhaupt für einen Zweck haben. Geld sammeln? Stars promoten? Das schlechte Gewissen ein bisschen lindern? – Von allem ein bisschen was?

Es dürfte trotz aller Kritik nicht die letzte Aktion dieser Art gewesen sein.

Freitag, 28. November 2014

Band Aid 30: Do They Know It's Christmas?

Alle Jahre wieder...

Zu den saisonalen Klassikern gehört auch Do They Know It's Christmas?. Anders als der Rest der Weisen ist aber dieser Song – zumindest ein wenig – mit einem Blick auf den Rest der Welt und die Orte verbunden, an denen es vielleicht grad nicht so friedlich und feierlich zugeht.

1984 wurde der Titel erstmals aufgenommen vom Pop-Who is Who der frühen 80er Jahre. Die Idee der Initiatoren Bob Geldof (Ex-Boomtown Rats) und Midge Ure (Ex-Visage und Ultravox) war, mit dem Verkauf der Single Geld einzusammeln und dieses einzusetzen gegen die damalige Hungerkatastrophe in Äthiopien. 1984 war diese Idee ziemlich neu – ich weiß nicht ob es die erste derartige Kampagne war. Wahrscheinlich nicht. In ihrer Größe aber setzte sie neue Maßstäbe.

Nachdem 1989 un 2004 bereits Neuauflagen folgten, ist nun 30 Jahre danach wieder die Zeit reif für ein Charity-Projekt. 2014 geht es um die Ebola-Epidemie in Westafrika. Die politische Weltgemeinschaft hat recht lang gezögert, bevor im Sommer klar wurde, dass die Krankheit eben nicht nur ein begrenztes Phänomen ist, sondern sehr schnell Grenzen überspringt und ein globales Problem darstellt.

Weil der Kampf gegen Ebola, sei es nun die akute und direkte Versorgung der Menschen oder die Entwicklung von Medikamenten bzw. Impfstoffen, enormes Geld kostet, rief also Bob Geldof erneut sein Projekt zusammen. Besetzt mit Stars aus dem aktuellen Musikbusiness. Natürlich musste er nicht lang bitten, Namen wie One Direction, Ed Sheeran, Ellie Goulding, Bastille, Rita Ora, Clean Bandit, Emily Sandé und Sam Smith stehen genauso auf der Liste wie ein paar überraschende Gäste, die eigentlich schon eine ganze Weile nicht mehr in den bunten Pop-Nachrichten aufgetaucht sind. Angelique Kidjo beispielsweise dürfte den heute Jugendlichen nicht viel sagen. Und ob Sinéad O'Connor tatsächlich noch als Popstar taugt würde ich ebenfalls bezweifeln. Aber mit so einer generationenübergreifenden Besetzung lässt sich natürlich auch ein breiteres Publikum ansprechen. Die heute 40jährigen können vielleicht mit One Direction nicht so viel anfangen, aber Seal oder Roger Taylor sind denen schon ein Begriff. Und um die Sache auch richtig rund zu machen ist auch Bono fleißig mit dabei.

Nun ist bei einem derartigen Aufgebot an Stars und Sternchen und bei dem deutlich vermittelten Ziel der Aktion der eigentliche Song fast schon nebensächlich. Dass der Titel dann trotzdem immer wieder im Dezember in den Playlists auftaucht heißt auch noch nicht so viel. Beim Vergleich der Versionen fällt dann aber doch auf, dass der Song seine Qualitäten hat.

Der eher reduzierte Beginn der Aufnahme von 2014 bringt die Stimmen in den Vordergrund und damit die Botschaft. Nicht umsonst wurden die Textzeilen "Where a Kiss of Love can kill you" und "And there is Death in every Tear" neu eingefügt. – 1984 da war das Ganze noch sehr viel aufgebrezelter: Mit Glöckchen für die Weihnachtsstimmung und breit eingesetzten Synthesizer-Soundflächen. Das Ganze hatte dann auch noch einen anständig treibenden Beat... Die 80er haben schon anders funktioniert – Emotionalität war immer auch ordentlich dick inszeniert.

Die Jetzt-Zeit sieht dagegen schon fast spartanisch aus. Bis die erste wirklich inbrünstige Stimme zu hören ist, vergeht mehr als eine Minute. Und selbst danach bleiben Chor und Violinen-Begleitung recht lang noch gezügelt und zurückgenommen. Erst zum Refrain "Feed the World, Let them know it's Christmas Time" wird es fulminant ... und leider auch ein wenig hymnenhaft schlageresk. Nunja – Pop-Spektakel braucht eben auch etwas allgemein Vereinnahmendes, ein bisschen Heroismus. Sei es dem Projekt gegönnt.



Alles in allem ist Do They Know It's Christmas einmal mehr davor bewahrt worden zum betulichen Schunkelliedchen zu werden. Ohne die aktuellen Zahlen der Spenden zu kennen scheint mir die Kampagne 2014 noch einmal mehr Wirkung zu entwickeln. Eine Epidemie macht Menschen derzeit offenbar mehr betroffen als die 100. Kampagne gegen eine Hungersnot.

Auch in Deutschland regen sich die Wohlwollenden und gerade ist erstmals eine deutsche Variante von Do They Know It's Christmas? aufgenommen worden. Ob das wirklich so eine großartige Idee war... dazu werd' ich mich vermutlich in wenigen Tagen ebenfalls hier äußern können.

Donnerstag, 20. November 2014

David Guetta Feat. Sam Martin: Dangerous

Hab ich irgendwann mal behauptet, David Guetta bringe es nicht mehr? – Großer Irrtum.

Der Beweis liegt hiermit vor. Das neue Album Listen gibt es ab jetzt – die Single lovers on the sun hat bereits den Spätsommer bestimmt und nun schiebt der DJ und Produzent also Dangerous nach. Mit geballter Ladung.

Allein seine Inszenierung lässt nichts zu wünschen übrig. Formel 1 muss es sein – dekadenter und glamouröser geht es nicht. Irgendwie auch kaum an Sinnlosigkeit zu übertreffen. Denn was bitte ist die Formel 1 anderes als völlig abgehobene Selbstdarstellung. Es geht lediglich um die Befriedigung des eigenen Egos – bei den Technikern mindestens so wie bei den Fahrern.

Demzufolge haut David Guetta dann auch solche Sätze raus wie: "I Push Myself To The Limit. Even Harder." – Ja, das ist ein Mann, der über seine Grenzen hinaus wachsen kann. Logisch liegen ihm die Frauen wie kleine Häschen zu Füßen und wackeln willig mit ihren Ärschen.

Das sind also die Macho-Träume der Masse. Die BILD ist täglich voll davon. Und wenn man solch ein Klischee bedient, dann fliegen natürlich alle drauf.

Seltsamerweise macht David Guetta musikalisch eher einen Schritt weg vom Brachialsound. Klar, der Refrain ist immer noch nahe dran am Stadion-Hochgefühl. Dafür ist das Intro mit Klavier und Streichern geradezu zart im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen. Was folgt, ist in der Instrumentierung fast schon ein französischer Chanson – das hat Sebastien Tellier vor gut fünf Jahren mindestens genauso gemacht. Und wenn ich mir dann noch den Remix von Everybody's Darling Robin Schulz reinziehe, dann erkenne ich Herrn Guetta gar nicht mehr wieder. So soft und lauschig dahinplätschernd?

Spannend an Dangerous ist auch oder besonders, dass hier – obwohl es um nichts Natürlicheres geht als sich aufeinander einzulassen – eine große Gefahr hervorbeschworen wird. Hat Byung Chul Han tatsächlich recht? Sind wir bereits so ent-erotisiert, dass jeglicher Kontakt - ob nun rein körperlich oder tatsächlich in einer Art Beziehung - als Gefahr empfunden wird. Wofür? – Das Ego? Meine individuellen Macho-Träume? Meine Freiheit?

Hmm – irgendwie kann ich mich an dieses Gesellschaftsbild noch nicht recht gewöhnen. Kontakte, Begegnungen machen doch Spaß! Sich aufeinander einlassen ist doch spannend. Ich muss mich dabei keineswegs aufgeben – ich lerne mich dabei gerade erst besser kennen. Klar – mit einem Trip durch die Wüste oder in den Dschungel, mit wilden Formel 1-Fahrten mache ich auch tolle Selbsterfahrungen. Find ich auch wichtig. Ich würde einfach das Menschliche dabei nicht verdrängen und beiseite schieben wollen.

Aber klar: wer tatsächlich die lebensbedrohende Gefahr sucht, der kommt beim physischen Extrem-Exkurs sehr viel schneller und mehr auf seine Kosten. Da sind solche Beziehungs-Kisten vielleicht doch etwas geschmeidiger. Obwohl ... das Leben versauen kann man sich hier auch ganz schnell, wenn man nicht aufpasst. Da hat dann der Herr Guetta vielleicht doch nicht ganz unrecht.

Ein bisschen weniger Eitelkeit und Selbstinszenierung würde ihm trotzdem besser stehen. Denn das ist dann wirklich der Unterschied zum Rennwagen: Menschen lassen sich nicht einfach so steuern und lenken. Da muss man nochmal andere Fähigkeiten wie Empathie und vielleicht auch ein bisschen Sensibilität, auf alle Fälle aber Interesse am Gegenüber haben, sonst geht's direkt zum Totalschaden. Und das kann man im Gegensatz zu allen möglichen technischen Fähigkeiten eben nicht in irgendeiner Ausbildung lernen.

Freitag, 14. November 2014

UNHEILIG: Zeit zu gehen

UNHEILIG hört auf. (Oder macht erstmal eine Pause.) Angekündigtes Ende eines Projektes. Gelegenheit mal auf die Gesamtkarriere zu schauen.

2010/11 da war Unheilig der Überflieger. Unschlagbar. Rekorde purzelten und ein komplettes Land schien dem Grafen und seinen Mannen zu Füßen zu liegen. Bis dahin war es ein recht langer Weg. Nach der Gründung 1999 ging es erstmal überschaubar zu. Kleine Konzerte, eine eingefleischte und treue Fanszene. Immerhin dann doch 2008 der erste Chartserfolg - da war die Fangemeinde also schon anständig gewachsen. Und dann kam Geboren um zu leben. In seiner Aussage wunderbar allgemeingültig, im Stil auch wesentlich eingängiger und massentauglicher, die Fans mehrheitlich genügend Geld verdienend um sich die Veröffentlichung als physisches Produkt zuzulegen und zumindest in der Frühzeit des Erfolges auch mit dem einen und anderen prominenten TV-Einsatz ... schwups entdeckte Deutschland seine romantisch-verklärte Seite.

Dass sich das Ganze innerhalb von zwei Jahren bis zur ungebrochenen Euphorie steigern würde, wer hätte das erwartet? Hat sich um 2010 also in der deutschen Gesellschaft so etwas wie eine große Resignation und Trauer auf hohem Niveau den Weg gebahnt. Durchaus auch mit der verklärten Sehnsucht nach einem, der einen schützt und leitet. Ich behaupte an dieser Stelle mal, dass Unheilig mit den Weg geebnet hat für Bands wie Haudegen oder Frei.Wild. Und die haben ja schon gar kein Problem mehr mit Deutschtümelei, Führersehnsucht und Nationalstolz.

Das ist bei Unheilig nicht ganz so. Politisch hielt sich der Graf mehrheitlich zurück – auch das ja nicht unbedingt eine unbekannte Haltung in Deutschland. Unheilig hatte sich mehr mit der Schwarzen Gothic-Darkwave-Szene auseinander zu setzen. Mit dem Erfolg (und der stärkeren Pop-Orientierung) kam nämlich auch Kritik an seinem Stil auf. Und die ganz Eisernen fanden, der Graf verkaufe sich jetzt ... Spätestens mit der Winter-Edition seines Albums Große Freiheit Anfang 2011 ließ sich dieser Vorwurf des kommerziellen Ausschlachtens nicht mehr so ganz einfach aus der Welt räumen.

Wie dem auch sei, das Abwenden der Basis machte sich in den letzten zwei-drei Jahren dann auch bemerkbar im etwas schwindenden Erfolg. Deutlichstes Zeichen vermutlich das diesjährige Scheitern beim Eurovision-Vorentscheid. Da war die große Gesellschafts-Depression mehrheitlich doch schon verflogen und es herrschte die Lust am multikulturellen Gute-Laune-Gefühl. Was für Unheilig aber keineswegs den totalen Absturz bedeutete.

Immerhin, Unheilig ist nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahren in den Statistiken der 2010er tatsächlich immer noch die Nummer 2. Lediglich der junge Rapper CRO mit seiner Lebens- und Liebeslust hat dem Grafen alle Lorbeeren weggeschnappt: Die meisten Hits seit 2010, die höheren Platzierungen, die meisten Wochen in den Charts ... Einzig und allein der Hit Geboren um zu leben schafft die Bestmarke: "am längsten ohne Unterbrechung in den Charts platziert seit 2010" und "längste ununterbrochene Chartkarriere eines deutschsprachigen Titels aller Zeiten". Das ist schon eine ganz schön spezielle Nische, die der Graf da für sich vereinnahmt. Nischendasein dürfte für den Künstler allerdings nicht das große Problem sein.

Nun also will sich Unheilig/Der Graf mehr seiner Familie widmen. Und veröffentlicht vor seiner Abschiedstour einen Goodbye-Titel Zeit zu gehen. Der spart natürlich nicht an Pathos: Violinen, fulminante Produktion und ein Refrain, der sehr gut mitsingbar ist. Abschied von allen und allem.

Textlich überrascht der Graf, denn er traut sich (erstmals ?) konkret und deutlich zu werden. Es sind nicht mehr nur die unbestimmten Allgemeinplätze, die angedeuteten Geschichten, die jedem widerfahren können und die schwierig zu fassenden Gefühle – er singt von einem WIR. Und er sagt mit diesem WIR Danke. Eine sehr schöne und sehr ehrliche Geste. Und einer der ganz wenigen Momente, in denen Unheilig nicht zurück schaut sondern der Zukunft ins Gesicht sieht. Das ist für mich der überraschendste und beachtenswerteste Moment an der neuen Single.

Natürlich kann ein Graf nicht aus seiner Haut. Und so sind auch im Video vor allem die großen und inszenierten Momente aneinander gereiht. Mir hätte mehr gefallen, wenn dort tatsächlich in Mehrheit das auftauchen würde, wovon er so gerne singt: Die kleinen Momente und Gesten, die Nähe und Verbundenheit der Menschen. Zwischen Frontmann und Band, zwischen Bühnenarbeiter und Musiker, zwischen Star und Fan. Davon gibt es nur ein paar vereinzelte Impressionen. Es scheint ein bisschen so, als wäre dies der Grund für das permanente romantische Leiden des Grafen: Er kann im Nachhinein gut beschreiben, dass es nicht so gelaufen ist, wie es sollte. Er kann bedauern. Im Jetzt und Heute kriegt er es aber nicht hin, es besser zu machen. Da steht ihm vermutlich auch seine eigene Inszenierung im Weg.

Ich bin gespannt, ob wir dem Grafen in fünf, sechs oder sieben Jahren bei einem Comeback wieder begegnen können. Oder ob er künstlerisch nochmal was ganz anderes versucht. Vielleicht hört er auch auf seine eigenen Texte und widmet sich eher seinen Lieben und seinem Leben, statt permanent den Welterklärer zu spielen. Ich vermute, mir wird er nicht besonders fehlen.

Freitag, 7. November 2014

Taylor Swift: Shake It Off


Sehr spannend wie unterschiedlich zwei Videos sein können bei nahezu identischer Aussage.

Vor etwa einem Monat kam ich an dieser Stelle nicht umhin Meghan Trainors All About That Bass abzufeiern. Und immer noch feiert alle Welt diesen Song als Non-plus-ultra. Fast gleichzeitig erschien die aktuelle Single von Taylor Swift. Shake It Off der Titel und auch hier geht es wie bei Meghan Trainor um Selbstbehauptung und die Vergewisserung, dass es erstmal das eigene Gefühl ist was zählt.

Also verpisst euch alle, die Ihr möglichst Normcore sein wollt, bloß nicht auffallen, bloß nirgendwo anecken und all den Quatsch gesellschaftlicher Konventionen und Normen mitmachen. – Shake It Off!

Dass Taylor Swift hier nicht "Fuck Off" ruft, lässt schon ahnen, dass auch bei ihr nicht alles so heiß gegessen wird, wie es aufgenommen oder geschrieben wurde. Und da sind wir dann auch schon beim Video: Das ist so ziemlich das komplette Gegenteil von dem, was sie da singt. Ballettszenen, Modern Dance, Hip Hop, Bounce, Breakdance ... alles wunderschön und superglatt inszeniert. Und kein bisschen außerhalb des derzeitigen Normcore-Mainstreams.



Wenn es nicht dieses überdeutliche Video von Meghan Trainor gäbe, dann würde ich Taylor Swift wahrscheinlich ein super gelungenes Stückchen Film bescheinigen. Die ganze schöne Superwelt braucht sie natürlich um sich als außerhalb der Masse zu inszenieren. Aber wie langweilig macht sie das! Grad mal, dass sie die Choreographien nicht mithalten kann. Ansonsten ist sie genauso schlank und gutaussehend, glattgestylt und hübsch, wie all das Personal um sie rum. Da ist fast gar nichts individuell. Klar muss sie da dauernd behaupten wie einmalig sie ist.

Shake It Off!

Gerade mal ganz am Ende ihres Videos schafft es die Sängerin, ein paar normale Menschen ins Bild zu holen. Aber auch da halten sich die dickeren und etwas weniger wohlgeformten, die Outsider und die Freaks arg arg zurück. Das ist alles noch ordentlich durchschnittlicher US-amerikanischer Mittelstand. Schade!

Und auch wenn Taylor Swift mit dieser Hymne auf das Selbst und das Nicht-Ganz-Normale so ziemlich ihren größten Hit einfährt, gegen Meghan Trainor hat sie in Sachen Videoinszenierung deutlich verloren. Wer hätte das gedacht.

Freitag, 31. Oktober 2014

Robin Schulz Feat. Jasmine Thompson: Sun Goes Down


Robin Schulz finally really goes international by collaborating with British Jasmine Thompson
Musik einer gelangweilten Generation: Nothing's ever what we expect ... no matter what we are, no matter where we are
zufrieden mit ich-bezogenen Kleinigkeiten If there's a moment when it's perfect / it will cover me as the sun goes down
eingelullt in romantischer Selbstzufriedenheit

der dritte Hit für Robin Schulz in 2014 – das ist dann wohl der Newcomer und Aufsteiger 2014
wenigstens sind die Remixe ein bisschen abwechslungsreicher als das Original

Freitag, 24. Oktober 2014

Gregor Meyle: Keine ist wie du

Natürlich werden mit Fernsehshows Hits gemacht. Diese Weisheit ist so alt wie ... vielleicht das Fernsehen selbst. In den vergangenen Jahren (oder mittlerweile Jahrzehnten?) waren es vor allem die Casting-Formate, die uns Hits bescherten. Zunehmend wurde vor etwa fünf bis sieben Jahren dann bemerkbar, wie der Erfolg von den eigentlichen Casting-Stars wegschwappte zu den Songs, die während der Shows interpretiert wurden. Das hatte viel zu tun mit der digitalen Verfügbarkeit der teilweise älteren Singles und Hits.

Mit Philipp Poisel wurde dann vor zwei Jahren sogar ein Sänger durch ein interpretiertes Lied während einer Casting-Show so richtig zum Medien-Hype und damit wesentlich erfolgreicher als bis dato. Natürlich war er zuvor nicht komplett unbekannt. Und natürlich war es nicht nur DER EINE Auftritt, aber so etwas wie der letzte Funken oder Tropfen, der dann alles nochmal ordentlich vervielfachte.

Und diese Geschichte scheint sich gerade mit Gregor Meyle zu wiederholen. Dieser wurde 2007 durch Stefan Raab dem Fernsehpublikum bekannt, wurde dort in einem der Nebenbei-Casting-Shows des Entertainers Zweiter – immerhin. Das brachte ihm ein paar erste Achtungserfolge ein. Und dann verschwand er mehr oder weniger wieder von der Bildfläche.

Das ist für Casting-Teilnehmer zunächst eine recht gewöhnliche Biographie. Egal in welcher Variante sie auftreten. Gregor Meyle entschied sich dann – auch das nicht total ungewöhnlich – von der großen Musikindustrie unabhängig weiter zu machen und gründete ein eigenes Label. Spätestens hier ist dann wirklich für die allermeisten Schluss. Denn wer hat schon genug lang die finanzielle und emotionale Kraft, Songs zu schreiben, aufzunehmen, zu veröffentlichen ... und dann doch kaum wahrgenommen zu werden?

Immerhin, Gregor Meyle blieb fünf Jahre dabei und wurde offenbar doch wahrgenommen. Zumindest folgte im Frühjahr 2014 die Einladung von Xavier Naidoo ins Sing meinen Song-Ferienlager, wo er ein bisschen die Rolle des kleinen Newcomers hatte. Zumindest waren die anderen Lagerteilnehmer ander – sichtbarer – im Business verankert.

Und dann wählte sich Sarah Connor Keine ist wie du als Song aus, den sie zum Besten gab. Was ihr nach Jahren der Chart-Abstinenz ein Comeback im Medienrummel verschaffte. Und auch der Originalaufnahme eine gewisse Aufmerksamkeit brachte. Immerhin konnte sich der Titel, der nie als Single ausgekoppelt war, ebenfalls für kurze Zeit in den Charts platzieren.

Damit war das Eis gebrochen ... und nun taucht der Titel wieder auf, in einer Casting-Show und ... ja, jetzt wird er vollends geliebt, geladen, gekauft. Kurz – er wird zum Hit.

Wie gesagt, eine Geschichte, die wir durchaus schon kennen. Anders ist in diesem Fall höchstens, dass es sich bei Keine ist wie du eben nicht um einen von klugen Managern oder den Schöpfern selbst ausgewählten Titel handelt, der in deren Augen das Potenzial zu einem Song für viele zu haben. Hier hat die Qualität der Komposition ganz wesentlich ihren eigenen Anteil gehabt. Und das ist dann eine Geschichte, die nicht allzu oft im Pop-Business vorkommt.

Keine ist wie du ist wie du, ist eine großartige Ballade. Eine der wenigen, die es schafft Gefühle zu transportieren ohne zu sehr ins schwiemelige Pathos abzugleiten oder einen Haufen Romantik-Geigen-Soße drüber zu schütten. Gregor Meyle beschränkt sich auf eine ganz sparsame Instrumentierung (ja, ein paar Violinen tauchen da auch auf, aber nur ganz ganz vorsichtig) und vertraut auf seine Stimme. Die – und auch das ist für deutsche Künstler nicht so gewöhnlich – eben nicht permanent beweisen muss, wie gut ausgebildet und schön sie sein kann. Gregor Meyle traut sich, hier auch zu zeigen, dass es für ihn Grenzen des Gesangs gibt. In einzelnen Momenten hab ich das Gefühl, das ist doch jetzt nur so dahin gesagt. Und genau das ist das Schöne. Weil es eben nicht in eine kunstvolle Form gegossen wurde, sondern so da steht, wie ich es auch formulieren würde. Der schöne Begriff Authentizität kommt hier wieder mal ins Spiel. Offenbar immer noch etwas, an dem sich der deutsche Pop abarbeiten kann.

Und so authentisch (oder ehrlich) sind auch die von ihm gewählten Worte. Da kommen auch solche großen Versprechungen und Wünsche wie "immer", "nie wieder", "keine" vor – Verheißungen, die im Moment wirklich so scheinen, trotzdem ja aber auch ganz schön übergroß und unglaubwürdig sind. Und genau das teilt Gregor Meyle ebenfalls mit. Er benutzt sogar solch ein Wort wie "irgendwie": Du bist immer noch irgendwie da. – Nicht gerade das, was uns der Gute-Manieren-Index als Kompliment definieren würde. Deshalb aber nicht weniger überzeugend.

Es sei denn, die Frau ist eine völlig eitle Ziege, die immer nur beschenkt und angebetet und rumgezeigt werden will. (Soll es ja geben!) Dann wäre sie aber niemals mit so einem wie Gregor Meyle zusammen.

Nun kommt in unserer überinszenierten Welt Ehrlichkeit und Authentizität immer ganz gut an. Muss deshalb aber nicht dauernd gut gehen. Zum einen ist das ja nicht so einfach, sich selbst erstmal so weit zu haben, dass man rauskriegt, was einen wirklich umtreibt. Gregor Meyle brauchte da offenbar auch eine Weile ehe er sagen kann "Ich geb's jetzt endlich zu."

Zum anderen haben wir so viel Quatsch-Bilder und -Vorlagen um uns rum, dass es eben auch ganz schnell geht und ich denke, das muss alles so sein. Auch hier hält sich Gregor Meyle an sein Gefühl: er redet nicht von Hochzeit, Kinder, Haus, Familie ... obwohl sein Liebeslied ganz konventionell gedacht darauf hinzielen würde. Ist für ihn aber alles nicht der Sinn der Beziehung und der Liebe. Es geht um die Person, es geht um das Gemeinsame, egal unter welchen Umständen.

Da bin ich ordentlich beeindruckt. So viele Möglichkeiten und Varianten muss man erstmal zulassen.

Vielleicht ist es genau das, diese Offenheit, die den Song so überzeugend macht. Und vielschichtig. Eine Zeile wie "Ich will nie wieder so einsam sein ... wegen dir" kann eine ganze Menge bedeuten. Je nachdem wie man es betont oder wo man das Komma setzt. Oder auch nicht. – So transportieren wenige Worte ein ganzes Universum, ein ganzen Stapel an Lebensmöglichkeiten. Das schaffen auch nicht viele Textzeilen.

Kurzum: Im Februar hatte ich Revolverheld für Ich lass für dich das Licht an schon die Trophäe "Schönstes und überzeugendstes Liebeslied" überreicht. Ich glaube, die Jungs müssen jetzt ein bisschen Platz machen für Gregor Meyle und ihm mindestens die Hälfte Ihres Ruhmes abgeben.

Freitag, 17. Oktober 2014

Sheppard: Geronimo

Ich weiß wirklich nicht, was ich von Sheppard halten soll. Einerseits sind sie als Band großartig. Das kann man schön im Video beobachten, wie sie da performen: mit Spaß und Herzblut, engagiert und trotz allem irgendwie auch cool.



Das hat natürlich auch mit ihrem Styling zu tun. Ein bisschen angehipstert, ein bisschen independent, schräg genug um noch einen Hauch Art-Act abzubekommen. Schöne Mischung.

Und Geronimo selber kommt als Song dann ganz hübsch eingängig daher, bedient sich aus dem Kasten von handgemachtem Pop-Rock ohne die nötige Prise Verspieltheit zu vergessen, die das Ganze dann doch erst genießbar macht.

Und trotzdem gibt es da Punkte, die gehen gar nicht.

Welcher beschissene Marketing-Berater hat ihnen eigentlich dieses debile CD-Cover eingeredet?



Da ist gar nichts mehr übrig von der hübschen, versponnen Schrägheit, die sie sonst verkörpern. Das ist glattgebügelter Normcore im ach so authentischen Country-Style. Weil's grad so übermäßig in ist, sich naturverbunden und bodenständig zu geben. Ganz laaaaangweilig.

Gleiches beim Video. Der Live-Auftritt zwischen den übergroßen Buchstaben und den hübschen Licht/Schatten-Effekten hätte doch völlig genügt. Überzeugend und mit Spaß (siehe oben). Nee, da muss jetzt noch ein Laufband dazu und ein zwei optische Täuschungsmätzchen, um ... Ja, um was eigentlich zu tun? Mir zu zeigen, dass das Leben ein Hamsterrad ist? Dass wir armen kleinen Würmer uns ganz schnell aus dem Gewicht bringen lassen? Damit ich ja auch verstehe, was der Text meint?

Ehm – und das lässt eine Band mit sich machen, die sich doch gerade so schön unkompliziert und fröhlich aufgestellt hat. Ihre Auftritte im Radio und TV machen Spaß. Mensch, so einfach ist das mit dem Pop und der Musik und dem ganzen Leben.

Schade, dass die unbeschwerte Leichtigkeit, die unabhängige Produktionen in ihren besten Momenten haben, sich hier so vertreiben lässt. Geronimo wäre der weitaus bessere Titel, wenn er nicht so bekannt geworden wäre. Und ich vermute, Sheppard wäre auch die um Längen interessantere Band ohne den ganz großen Erfolg. Jetzt kann man eigentlich nur noch drauf warten, dass sie zu den Vorreitern des New Country ausgerufen werden.

Freitag, 10. Oktober 2014

Meghan Trainor: All About That Bass

Es ist nicht schlimm, wenn die Körpermaße nicht dem Hungermodell-Index entsprechen. Das ist die Botschaft, welche über All About That Bass steht. Und damit kann sich Meghan Trainor positiver Reaktionen sicher sein. Denn die überbordende Präsenz von dünnsten Frauen (und gern auch Männern) als Schönheitsideal ist nach wie vor erschreckend. Da hat auch der Hype um Beth Ditto – sogar mit der kraftvollen Unterstützung von Karl Lagerfeld – nichts ändern können.

Und schon bin ich drauf und dran mich zu einer Äußerung empor zu schwingen wie: Die Pop-Welt ist offenbar um einiges weiter als die Modewelt, denn Sängerinnen, die ein paar mehr Pfunde auf den Rippen haben sind tatsächlich nicht mehr mit der Lupe zu suchen. Allerdings ist es auch reichlich erschreckend, wie lange solch ein Thema braucht um im Mainstream anzukommen. Ich erinnere mich an das Auftreten von Missy Elliott Ende der 1990er Jahre, die bereits sehr vehement auch ihr Gewicht thematisierte.

Auch Pop ist also sehr sehr langsam und ich wage zu bezweifeln, dass mit Meghan Trainor nun das klapperdürre Schönheitsideal ausgedient hat. Germany's next Top Model dürfte weiterhin wesentlich erfolgreicher laufen als das fast schon emanzipatorisch zu nennende GLEE. Und was bei Heidi Klum propagiert wird, wissen wir ja.

Immerhin, ein 20jähriges Pop-Sternchen, dass sich so explizit positiv zu etwas mehr Gewicht bekennt und damit weltweit den Gassenhauer der Saison liefert, gab es bislang noch nicht. Selbst Lily Allen blieb da vor der ganz großen Medienpräsenz verschont – und damit ihre Botschaften auch immer ein klein wenig Understatement. Da schafft Meghan Trainor tatsächlich schon eine neue Qualität.

Trotzdem hinkt die Pop- und Medienwelt der Realität auf den Straßen ordentlich hinterher. Weshalb auch die Hymne auf "Mehr Gewicht ist auch schön!" irgendwie nicht ganz ohne Beigeschmack davon kommt. Gerade reiche Länder wie die USA oder Deutschland (aber auch die Niederlande oder Schweden) kennen das Problem Übergewichtigkeit zur Genüge. Wohlstand verbunden mit sozialer Verwahrlosung und billigem Essen ist ein handfestes Problem. Gerade auch unter heranwachsenden und jungen Menschen.

Der fröhlich tanzende, junge Mann in Meghan Trainors Video steht also einerseits für ein emanzipiertes Körperbild, auf der anderen Seite ist es aber Fakt, dass seine Lebenserwartung statistisch geringer ist als die der Damen im Video (die allesamt nicht klapperdürr sind, aber bei weitem eine gesundere Figur haben als ihr männlicher Partner).

Nun bin ich definitiv nicht angetreten, dem Mann seine Freude am Leben zu nehmen. Es ist toll, dass er ein positives Körpergefühl hat und dass er sich ungeniert bei seinem Spaß filmen lässt. Sogar das Hochrutschen seines Shirts macht ihm nichts aus. Die Zeile "My mama she told me don't worry about your size" ist dennoch nur bedingt ein guter Rat. Die überfütterten Kinder gutmeinender Mütter sind nicht unbedingt glücklicher.

Dass Meghan Trainor diese Kehrseite ungehemmter Esslust nicht beachtet ist verständlich. Das Thema ist im Pop- und Mainstream-TV-Kontext so gut wie gar nicht vorhanden. Wie schon erwähnt: Entgegen der Realität wird im Medien-Kosmos ja immer noch ein anderes Schönheitsideal propagiert.

Und deshalb ist All About That Bass wahrscheinlich doch ein ziemlich großartiger Wurf. Sich im Jahr 2014 am Doo-Wop-Stil der 50er zu bedienen ist vielleicht ein bisschen fragwürdig – aber gut, das verbuche ich einfach unter Atemporalität. Jeglicher Sound ist heute möglich und zeitgemäß. Und ehrlicherweise ist All About That Bass auch ordentlich infektiös, mitsingbar, ein Pop-Stückchen wie es besser nicht sein könnte. Dass es bei übermäßiger Präsenz auch ordentlich nervt, teilt der Song mit einer Menge anderer Tageshits.

Immerhin passt der Sound hervorragend zur Lollypop-Kitsch-Welt des Videos. Das Barbie-Girl in ihrem Puppenstuben-Outfit ist die ideale Märchenumgebung für die Träume kleiner Mädchen. Dass dort Figuren vorkommen, die nicht dem Ballerina-Ideal entsprechen und trotzdem ernst zu nehmende Akteure sind ist wirklich ein Fortschritt. Die kann man genauso hübsch herausputzen und zurechtmachen wie das staksige Original. Und akrobatische Körperverrenkungen kriegen die offenbar auch hin. Mal schauen, ob es wirklich demnächst die Meghan-Trainor-Variante bei Mattel zu erwerben gibt.




Freitag, 3. Oktober 2014

The Avener: Fade Out Lines

Ich bin kein Deephouse-Fan. Warum eigentlich nicht? Ich kann elektronisch produzierte Musik doch ganz gut leiden. Und ganz besonders mag ich Clubmusik. Selbst wenn es in Richtung Lounge geht, muss das nicht schlimm sein. Meist finde ich die Art, wie da mit akustischen Rauminszenierungen umgegangen wird äußerst spannend.

Die letzten Monate haben mir allerdings die Lust an den softeren Rhythmen und vor allem an House ordentlich vermiest. Was da alles an Müll erschien und dann auch noch erfolgreich war… unaushaltbar. Einige Kostproben gibt es hier im Blog zu finden.

Dementsprechend negativ war ich eingestellt bei der Meldung, dass schon wieder so ein Deephouse-Teil aus dem Nichts die Spitze der deutschen Charts erklommen hat. Dass das Ganze aus Frankreich kommt (wie der Löwenanteil derzeit erfolgreicher Deephouse-Nummern), war dann noch das letzte Quäntchen um mich zu vergraulen.

Völlig zu Unrecht. Denn The Avener macht bei Fade Out Lines trotz aller Stilbedienerei einiges richtig. Zum Beispiel gibt es statt des Saxofons eine E-Gitarre - und zwar eine die nicht jammernd dahinschrammelt sondern genau vier Akkorde endlos wiederholt. Kein Versuch wie bei anderen Stücken, daraus einen Melodiefetzen zu machen, altbekannte Pop-Strukturen zu bedienen, und dann irgendwann einen kompletten Refrain zu erzeugen. Keine Glöckchen oder Romantik-Kitsch. Einfach reduziert auf das Nötigste – und das Ganze entwickelt einen hypnotischen Sog.

Das ist natürlich bereits die Stärke, die das Original von Phoebe Killdeer And The Short Straws auszeichnet. Womit ich noch einmal meine These wiederholen möchte, dass es offenbar nahezu unmöglich ist, aus schlechtem Material etwas Gutes zu machen. Umgekehrt funktioniert das leider häufiger.

Fade Out Lines ist im Original ein düsterer Song. Es geht um die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Kontrollverlust, vor dem Ende. Gleichzeitig ist dieses langsame Ausfaden eine Gewissheit. Und irgendwie in dieser Unausweichlichkeit reizvoll und faszinierend. In der zeitlupenhaften Langsamkeit des Originals liegt dann auch der Versuch, diesen Prozess bis in das letzte Detail auszukosten.

Das lässt durchaus Vergleiche zu: Lilly Wood & The Prick setzen sich ebenfalls mit dem Ende auseinander. Gleichzeitig distanziert sich Fade Out Line von der Endzeittrauer. Denn hier steht nicht das Leiden an der Situation im Vordergrund als vielmehr der Umgang damit. Wenn wir schon alle dem Ende entgegen gehen, dann wollen wir das doch bitte auch erhobenen Hauptes tun.



Und so ist auch die Club-Variante weniger romantisch-leidend als vielmehr bewusst auskostend. Der Tanz auf dem Vulkan – allerdings mit offenen Augen und reichlich genau wissend, was da kommt. Könnte sein, dass damit der allerletzte Moment gar nicht mehr so erschreckend und angsteinflößend ist. Man steht förmlich neben sich: Das ist er jetzt also der letzte Moment – interessant.

Natürlich ist das ein dünner Grad. Und ob diese Coolness wirklich echt ist, wer weiß das schon. Angesichts des Videos lassen sich durchaus auch zynische Untertöne bei The Avener finden. Er schlendert durch Paris mit dem Schachbrett unterm Arm und verbringt seinen Tag beim intellektuellen Spiel. Sie ist natürlich Modell (was sonst) und spielt das schöne Leben. Am Ende treffen sich beide vor der Haustür und küssen sich, bevor sie in ihr Privatleben verschwinden.



Das was Phoebe Killdeer And The Short Straw besingen, wird hier kurzerhand umgemünzt auf die Inszenierung und das Rollenspiel im öffentlichen Raum. Wir sehen so natürlich aus, aber wer wir wirklich sind, bleibt verborgen. Das wahre Gesicht zeigen wir nur hinter verschlossenen Türen.

Eine solche Aussage ernsthaft im Jahr 2014 mit all den google- und NSA-Erfahrungen der letzten Jahre zu formulieren, finde ich mehr als romantisch.





Dienstag, 30. September 2014

Calvin Harris Feat. John Newman: Blame



Es ist der zweite Hit für Calvin Harris in diesem Jahr. Und es schwappt in die Radios und unser Bewusstsein mit dem beginnenden Herbst – die Sommerhits verlieren langsam an Faszination, neue Musik muss her.
Die Kombination Calvin Harris – John Newman ist clever, wenn auch im Endeffekt wenig überraschend. Das was der Sänger solo hinbekommen hat, eindrucksvoll Gefühl transportieren trotz elektronischer Produktion, das geht mit Calvin Harris dann doch zu großen Teilen verloren. Zu viel Großraum-Party und Rave-Signal.

Schade.


Freitag, 19. September 2014

CRO: Bad Chick

Ich kenne eine Menge Leute, die gut und gerne als Kenner von Popmusik durchgehen oder sich sogar selbst so beschreiben würden. So unterschiedlich sie sein mögen, sie alle hassen CRO. Sie finden ihn schlimm, dumm, sexistisch, langweilig, weichgespült ...

Ich gehöre vermutlich eher zu der Gruppe der Nicht-Wisser, denn was so abgrundtief schlimm und schrecklich an CRO ist, hat sich mir bislang noch nicht erschlossen. Ich nehme vor allem wahr: Da kommt einer, bleibt insgesamt dann doch recht bodenständig, und weiß wie er die Kids (und auch die ein wenig Älteren) begeistern kann. Ist CRO einer, an dem man den Generation-Gap festmachen kann?

Und auch wenn ich mir seine Auftritte in den Medien anschaue, dann denke ich eher häufig: Schlägt sich nicht schlecht, der Bursche. Ohne sich von noch dümmeren und oberflächlicheren Fragen und Bemerkungen verrückt machen zu lassen, bleibt er ruhig, kann auch mal über einen Spaß lachen, nimmt sich sogar selbst auf die Schippe und sieht dabei trotzdem nicht doof aus. Die Superstar-Moderatoren-Teams sehen dagegen ganz schön hohl und doof aus. Die neue Gelassenheit der nächsten Generation?

Naja, nun hat CRO mit Bad Chick endlich mal auch einen Single-Hit, der wirklich ganz eindeutig angreifbar ist. "Chick" – das darf man doch nicht sagen. Das ist definitiv frauenverachtend und damit sexistisch. Erwischt!

Aber natürlich hinkt dieser Vergleich ganz enorm. Denn im Jahr 2014 ist es ja fast schon wieder out, dass sich junge Frauen Strickmützen mit dem Aufdruck "Bitch" oder "Schlampe" aufsetzen. Die BitchBritneys und ElektroPunk Icona Pops haben bereits seit Jahren Gesellschaft aus dem NeoHippie/Hipster-Mainstream erhalten. Darf jetzt also auch ein Mann von seiner "Chick" singen, wenn sie jung, großstädtisch und cool ist?

Darüber dürfen wir gern noch ein Weilchen streiten. Und es kann durchaus passieren, dass doch eine dieser jungen coolen Frauen die Betitelung sehr Scheiße findet. Das darf sie dann auch sagen, auch laut – und hat guten Grund dazu. Der Typ, der gar nichts Böses wollte, muss das dann hinnehmen. Aus Versehen erschossen ist auch tot. Muss man vorher überlegen wo man hinzielt.

Mister CRO, der macht es noch ein klein wenig gewitzter. Der singt nämlich nicht von den Chicks allgemein, sondern nur von seiner. Und die scheint es tatsächlich ordentlich drauf zu haben. Könnte mir gut vorstellen, dass sie auf die Liebkosung als Huhn sogar ein bisschen stolz ist. Aber das weiß man nicht. Und fragen kann ich sie auch nicht.
Denn eigentlich weiß man bei CRO ja jetzt auch nicht genau, ob diese Frau überhaupt existiert. Der Junge ist ja verpeilt genug, da könnte dieses ominöse Chick wahrhaftig eine coole Ausrede sein, niemand hat sie gesehn, niemand kennt sie. Gibt es solche Frauen überhaupt?

Und weil sich dieses besungene Bad Chick als virtuelles Hirngespinst, nicht mal als Traum-Abziehbild entpuppt, rutschen auch die ganzen Kritiker von CRO mit ihren Vorwürfen ab. In dem Moment, in dem CRO sein Hühnchen ins Gespräch bringt, denunziert er sich selbst als Loser und Nicht-Draufhaber. Da muss er jetzt fast schon aufpassen, dass das nicht auch seine Freunde nervt.

Bislang finden die das richtig gut. CRO ist einer von ihnen. In gewisser Weise also ein Normcore-Star. Hier aber mal ganz positiv besetzt. Durchschnittlich sein, einfach und normal sein, und trotzdem gut drauf sein – das ist im Vergleich zu den überpotenten Gangster-Rap-Kings richtig wohltuend. Vielleicht ist CRO ernsthaft eine andere Art Star. Und vielleicht ist es das, was die vielen Musik- und Pop-Kenner nicht mögen. Mit solchen Normal-Stars muss man nämlich ganz anders umgehen. Nicht einfach.

Als Nicht-Auskenner bin ich darüber ein bisschen froh. Ja, CRO will sich nicht so recht festlegen und äußern, aber das ist mir allemal lieber als das unreflektierte Anbiedern an eine breite Massenmeinung wie sie beispielsweise Andreas Bourani vorführt. Und trotz aller Ironie ist CRO nie so peinlich debil wie all die Y-Tittis und Lochis, die ja auch nichts anderes wollen als Spaß. Und wenn ich dann lese, dass gerade die hochgetunten und zu Tode inszenierten Tokio Hotel ein Comeback starten, dann bin ich über die Normalität eines CRO noch 100 mal mehr froh. Im Vergleich zu den Magdeburgern sind seine Tracks doch prall von Leben.

Ob das alles genügt, um auch von der Kulturkritik ernstgenommen zu werden, das müssen andere entscheiden. Mir macht es erstmal noch eine Weile Spaß.

Freitag, 12. September 2014

The Script: Superheroes

Wie oft darf man sich eigentlich wiederholen? – Das ist die Frage, die mir durch den Kopf ging, als ich The Scripts neue Single Superheroes hörte, mit der die Band ihr viertes Album No Sound Without Silence ankündigt.

Obwohl sie es in ihren besten Songs schaffen, so etwas wie Feingefühl zu transportieren, oder auch mal mit etwas stilleren Tönen zu überzeugen, mit ihren Singles wollen sie vor allem eines: Die Leute mit Bombast-Sound wegbrettern. Das ist sogar erklärtermaßen ihr Ziel, wenn man den Entstehungslegenden glauben schenken darf. Denn angeblich wurde das Album eingespielt während ihrer 3 World Tour. Sozusagen runter von der Bühne, rein ins mobile Studio. Völlig überdreht und massenhysterisch infiziert wird losgespielt. Heraus kommt genau das: Pathetischer Monstersound.

Ebenso ist das Thema ihrer Single ganz groß aufgezogen. Es geht um Superheroes. Und damit nehmen sie den Faden ihrer Erfolgssingle Hall Of Fame auf. Sie haben sich offenbar noch nicht genug abgearbeitet an den überlebensgroßen Vorbildern und Anforderungen. Immer noch befinden Sie sich mitten drin in der kapitalischen Leistungsgesellschaft. Mehr mehr mehr, größer, weiter, schneller, besser.

Und so besingen The Script ganz ungebrochen den Weg, wie wir alle zu Superhelden werden können:
When you've been fighting for it all your life
You've been struggling to make things right
That's how a superhero learns to fly


Nie aufhören mit dem kämpfen, niemals klein beigeben, den Druck, den Schmerz verwandeln in Kraft. - Das klingt heldenhaft. Und es klingt vor allem unglaublich angepasst. Statt die Kraft zu benutzen, mit Mut und Geschick anzuwenden, um die Verhältnisse zu ändern und tatsächlich ein eigenes Leben zu führen, wird hier nur die Bestätigung dessen propagiert was uns umgibt. Kämpfe, sei hart und werde Teil des Systems. Dann hast du es geschafft und darfst mitspielen.



Es gibt eine Menge anderer Beispiele, wie mit Heldenträumen und Lust nach Mehr umgegangen werden kann. David Bowie hat schon in den 70ern erkannt: Held sein, das kann man auch nur einen Moment lang. Das Gefühl ist kein bisschen weniger heroisch oder erhebend. Nur der Weg ist wesentlich einfacher: Statt ein Leben lang Schläge einzustecken muss man sich lediglich auf einen Menschen einlassen.

Oder auch Friedrich Liechtenstein: der überzieht die Supergeil-Superhelden-Fantasien mit Ironie. Mehr und besser und härter und schöner und stärker ist eben vor allem eines: Albern.

Und noch ein Beispiel: Schauen wir uns Praia do futuro an, das gerade in die Kinos kommt. Karim Aïnouz zeigt hier motorisierte Superhelden, die hinter ihrer Maskerade alles andere als unverletzlich, heldenhaft und unbesiegbar sind. Und trotzdem ist das Ganze nicht weniger ein Märchen.

Nach wie vor würde ich Danny O'Donoghue ein bisschen mehr Realitätsnähe wünschen. Oder nicht mal das, denn dass das Leben kein ewiges Stadionrockkonzert ist, wissen The Script ja schon längst. Zumindest wenn ich ihren Albumtitel ernst nehme. Ich wünsche den Jungs einfach, in ihren Träumen ein klein wenig vom Maximalanspruch runterzukommen. Superhelden, die ihr ganzes Leben dafür leiden und kämpfen müssen um einmal fliegen zu können, sind ziemlich arme Wichte. Eine Welt, in der sich alle nur noch mehr panzern, um irgendwann mal unbesiegbar zu sein, ist eine Welt von sozial Gestörten im Egorausch.

Die echten Superhelden wären ihre harte Schale gern einmal los. Oder können sie sogar ablegen. Echte Superhelden kämpfen nicht ihr Leben lang um noch besser und noch superer zu werden – sie versuchen eher wie normale Menschen zu sein: verletzbar, schwach und einfach.



Samstag, 6. September 2014

MAROON 5: MAPS

Und da sind wieder MAROON 5. Das fünfte Album am Start, simpel betitelt V und vorab hingelegt die Single MAPS. Schon mit der ersten Begegnung ist klar: Nach den Pop-Ausflügen mit Overexposed im Jahr 2012 geht es nun wieder zurück zu den Ursprüngen. Da wo Maroon 5 herkommen.

Adam Levines' Stimme steht im Vordergrund – für meine Begriffe hier ein wenig zu sehr im Kopfstimmenbereich – begleitet von Gitarrenklängen und Schlagzeug. Mehr Rock, weniger Produktion – bis dann der Refrain einsetzt.

Das klingt erstmal nach mehr Authentizität, erinnert mich aber ganz schön stark an Sting und seine Band Police, und ich weiß gar nicht genau, warum hier doch recht deutlich Bezug auf den Poprock der 80er genommen wird. Sind unsere Lebensumstände wirklich so ähnlich?

Natürlich gibt es ein zwei Effekte, die vor 30 Jahren so noch nicht eingesetzt wurden. Dennoch bleibt das Ganze schön artig in den Grenzen, die der klassische Mainstream-PopRock seit einigen Jahrzehnten vorgibt. Dazu dürfte auch wesentlich Mister Ryan Tedder beigetragen haben, der für diesen Song nicht nur als Co-Komponist, sondern auch Co-Produzent verantwortlich zeichnet. Der hat seine Stärken vor allem dann, wenn er sich in eher poporientierten Gefilden herumtreibt. Dann fügt sein Stil dem Ergebnis etwas eher Ungewöhnliches und Spannendes hinzu, so wie kürzlich geschehen bei Ella Hendersons Ghost.

Die Geschichte, welche MAPS erzählt, ist bekannt und auch von Maroon 5 bereits mehrfach dargebracht worden. Er trauert über den Verlust seiner Liebsten. Offenbar hatten die beiden nahezu das Paradies auf Erden, aber irgendetwas lief da schief und nun ist das Glück verloren. Der starke Kerl kann sich das alles nicht erklären und alles was im bleibt ist ein trauriges, sehr sehr melancholisches Lied zu schreiben. Adam Levine gibt hier also zum wiederholten Male den verletzten und sensiblen Macho.

Dazu passt die Video-Bebilderung, welche die Fehlentscheidung und -handlung in eine recht drastische Story packt. Regisseur Peter Berg gelingt es so, das Drama noch einmal mehr emotional zu veranschaulichen. Wer jetzt nicht mit Adam Levine Mitleid hat, der ist wirklich ein hölzerner und gefühllpser Vollpfosten.



Allerdings erzählt die Geschichte auch einiges über die Sorglosigkeit und Beeinflussbarkeit junger Menschen im Jahr 2014. Offenbar schmeckt Adam Levine der Tequila ja gar nicht, und knutschen wollte er mit der Partyschönheit auch nicht. Aber natürlich ist es immer einfacher auf die vermeintlichen Freunde und die Mehrheit zu hören, einfach sich gehen lassen, mitmachen, bloß keine Position beziehen (was natürlich sehr viel Kraft und Selbstbewusstsein fordert), bloß nicht darüber nachdenken, was das eigene Handeln verursachen könnte. Im Video zu MAPS führt das konsequenterweise zum Tod der Geliebten. Im wahren Leben übrigens auch: Keine Meinung haben tötet Menschen.

Schön, dass Peter Berg das so schonungslos zeigt. Adam Levine allein (bzw. mit Band) bekommt solche Geradlinigkeit meist nicht so richtig hin. Wahrscheinlich fehlt es ihm auch einfach am Mut, Dinge so direkt zu benennen wie sie sind. Poetische Andeutungen sind offener, weicher und tun weniger weh. Übertragen auf das gesamte fünfte Album verheißt das wenig Überraschungen, aber eine Menge kaufhauskompitablen Hintergrundsound.

Freitag, 29. August 2014

Ella Henderson: Ghost


Angesichts von Ella Hendersons Single Ghost lässt sich wunderbar über den Unterschied von Casting-Produkten in Großbritannien und Deutschland nachdenken. Oder vielleicht sogar über den Stellenwert von Pop in diesen beiden Ländern generell.

Ja, Ella Henderson wurde bekannt durch ihre Teilnahme bei The X Factor. Allerdings flog sie 2012 dann doch recht schnell raus – immerhin unter den besten sechs war sie vertreten. Zwei Jahre später kann sie dennoch einen passablen Hit vorweisen.

Nun gibt es ja immer Ausnahmen: Im TV gescheitert und dann durch Zufall oder arge Aufdringlichkeit doch noch zu Chartehren gekommen. Im britischen Pop-Business kommen solche "Zufälle" allerdings doch reichlich häufig vor. Gucken wir mal in die letzten Jahre der X-Factor-Serie. Da stehen solche Namen wie Olly Murs (Zweiter 2009), Jedward (Sechste 2009), Rebecca Ferguson (Zweite 2010), One Direction (Dritte 2010), Cher Lloyd (Vierte 2010) ... Da kommt schon ganz schön was zusammen. Auch wenn da natürlich nicht alles Gold ist, was glänzt. Auffällig ist dennoch, dass diese Acts in vielen Fällen ernsthaft längerfristige Karrieren begonnen haben. So etwas ist ja in Deutschland eher seltenst der Fall. Oder wer ist jetzt nochmal Andreas Kümmert (Gewinner bei The Voice of Germany 2013), Beatrice Egli (Gewinnerin DSDS 2013), Luca Hänni (DSDS 2012), Roman Lob (Unser Star für Baku 2012), Ivy Quainoo (The Voice of Germany 2012)...???

Das kann damit zusammen hängen, dass Popkultur in Deutschland immer ein bisschen Bäh ist. ZDFneo versucht sich zwar an einer Chartshow, die Moderatorin bzw. auch der Kommentator macht sich aber nahezu über jeden Titel in der Top 10 lustig. Frag ich mich: Na warum präsentiert ihr dann das Zeug, wenn ihr es so dämlich findet?

Kann natürlich auch sein, dass die Qualität deutscher Popmusik dann doch eher ... nunja, unberechenbar ist. Andreas Kümmert, Roman Lob, Ivy Quainoo haben wahrscheinlich Talent und sind eventuell sogar gute Komponisten oder Textschreiber, über die Qualität von Aneta Sablik, Beatrice Egli und Luca Hänni sag' ich hier mal lieber nichts weiter.

Die DSDS-Soap konzentriert sich dann doch eher auf das Theater drumrum. Dass da auch noch gesungen wird, nunja, schönes Beiwerk. Macht das Dschungelcamp ja auch hin und wieder. Und mit so einer Vorgabe haben dann eben auch die Varianten an Shows zu kämpfen, die sich wirklich um musikalische Qualität bemühen. Irgendwie ist es dann doch interessanter und medial präsenter, wer da mit wem und was hinter der Bühne passierte.

Im britischen Fernsehen passiert all das natürlich auch. Trotzdem bleibt fast immer der Blick auf die Musik bestehen. Und dazu gehört eben nicht nur ein möglichst massenkompatibel geschriebenes Liedchen, sondern es gibt auch stimmliche Emotionen und Eigenheiten, es gibt Menschen, die Songs interpretieren (statt nachsingen), es gibt Soul.

Und das kann dann eben auch so ein Stück wie Ghost zum schönen und eingängigen Hit machen. Selbst im 80er Jahre-Allerwelts-Remix. Da könnte jetzt sofort Whitney Houston einsetzen mit ihrem Gesang. Im Original verrät mir die Produktion schon mit den ersten Takten, dass es hier auch um Funk geht ... und schwups bin ich mittendrin in der Gefühlswelt dieser Frau. Dann wenn Ella Hendersons Stimme statt wunderschön und geübt zu singen plötzlich in ein stimmloses Hauchen verfällt, kriegt das Ganze nochmal einen extra Groove, eine eigene Note und Emotionalität, die ich im glattproduzierten Dance-Pop zu oft vermisse. Schön gesungen (diese Variante findet sich hundertfach auf solchen Plattformen wie soundcloud) klingt der Titel enorm langweilig. Gut, dass die Produzenten hinter Ella Henderson wissen, dass Musik immer etwas mit Gefühl zu tun hat.

Kann natürlich sein, dass Ella Henderson nach dieser einen Nummer gleich wieder verschwindet und nie wieder auftaucht am Pop-Himmel. Wer allerdings zwei Jahre nach der großen TV-Präsenz erst mit einer Single kommt (und auch das ist in Großbritannien eher Normalität als die Aufnahme), hat sich vermutlich ordentlich mit dem Material beschäftigt, welches da aufgenommen wurde. Da spielt der TV-Hype eher eine untergeordnete Rolle. Diese Beschäftigung, oder nenn ich es mal anders, diese Haltung auch Massen-Pop ernst zu nehmen und genau das zu meinen was man da tut, das macht den Unterschied aus zur schnellen und beliebigen, deutschen Casting-Produktion. Und es macht die Qualität der Veröffentlichungen aus. Genau deshalb ist Großbritannien das Pop-Land Nummer 1. Und nicht Deutschland.



Freitag, 22. August 2014

MAGIC! Rude


Da entwickelt sich ein Reggae-Titel aus Kanada zum verspäteten Sommerhit. Klingt ein bisschen unmöglich, ist es vielleicht auch. Die Geschichte auf wikipedia liest sich mindestens genauso unglaublich. Und so passt alles schön zusammen: Die Musik, die Inszenierung, die Erfolgsstory.

So einen nicht ernst gemeinten Sommersong voller Heiterkeit und Spaß auseinandernehmen zu wollen, heißt sich wieder einmal von einem Fettnapf in den nächsten zu begeben. Der Spaß hört nämlich ganz schnell auf, wenn man den mal etwas ernster nimmt. Hab ich im letzten Jahr bei Rosana von WAX gemerkt. Daran erinnert mich Rude von MAGIC! ein bisschen. Nur dass ich ganz subjektiv Rosana um Längen witziger fand.

Bei Rude denk' ich irgendwie: Hmm, diese Reggae-Sommerhits sind doch meistens Eintagsfliegen. Alle kiffen was in den Ferien am See und fahren ungemein auf den entspannten Sound ab, der Friede Freude Eierkuchen verspricht. Wenn dann aber der Rauchnebel vorbei ist, dann ist auch die Begeisterung vergessen. Und die armen Künstler hinter den Riesenrelaxohits strampeln sich ab, es will ihnen einfach nicht gelingen noch mal mit einer Aufnahme so zu überzeugen. One Hit Wonder statt ernstzunehmender Künstler.

Sehr oft ist das nicht mal schade, denn so witzig und entspannt wie sich die Jungs (gab's auch mal einen echten Reggae-Hit von einer Frau?) gern mit ihren Songs geben, so sind sie dann meist doch nicht drauf. Oder etwa doch?

Schauen wir uns mal MAGIC an! Die erzählen mir eine hübsche, kleine Geschichte von einem spießigen Papa, der seine liebste Tochter auf gar keinen Fall an einen Musiker-Kiffer-Looser abgeben will. Auch wenn dieser seine Liebe beteuert was das Zeug hält. Lange Haare? Kein fester Job? Strickmütze? Keine Chance – unser Reihenhäuschen bleibt sauber.

Vor ungefähr 10 Jahren hieß dieser Typ unglücklich Verliebter Desmond Hume. Um seine Angebetete Penny Widmore vom bösen Papa zugesprochen zu bekommen, versuchte er sich erst in einer Weltumsegelung um dann für Jahre auf einer Insel zuzubringen und alle 108 Minuten einen Knopf zu drücken ... Das war insgesamt dann doch eine eindrucksvolle Geschichte, weil der böse Papa wirklich ganz böse war und nichts mehr suchte als den Zugang zu eben jener Insel, hatte sich also die Konstellation komplett umgedreht ... tricky!

Bei Atweh Nasri von MAGIC! ist die Geschichte nicht so komplex. (Der Song zieht sich ja auch nicht über sechs Staffeln :-) ) Der versucht tatsächlich den Papa zu überzeugen und steigt auf dessen Argumentation ein. Er droht mit Hochzeit und Familiengründung, das sollte den Papa doch nun wirklich erschrecken. Schließlich kommt er sogar noch mit der Moral: "I'm Human Too" – vergebens. Den Spießer bewegt das alles nicht.



Am Ende kriegt der Verliebte auch ohne Papas Segen seine Angebetete. Er schenkt ihr sogar einen Ring ... auweia, hat er das mit der Hochzeitsdrohung und der Familiengründung wirklich ernst gemeint? Ich dachte, das wär' hier alles nur Spaß. Aber da ist der Song dann auch schon zu Ende. Sommerkomödie mit Happy End halt.

Das mögen natürlich viele Menschen weltweit. Es sind ja auch die netten Beziehungs- und Hochzeitskomödien, die immer wieder die Kinos füllen: What a man, Kokowääh, Eins-zwei-drei-Ohren-Tiere ... Die lenken ab von dem, was stressiger Alltag oder einfach auch nur Langeweile ist. Will ich an dieser Stelle gar nicht schlecht reden, solche Ablenkungen muss es geben, sonst wär' hier ganz schnell die Totalrevolution angesagt vor lauter Unzufriedenen.

Traurig find ich nur, dass am Ende immer das Spießer-Happy-End steht. Es geht bei allem Spaß und aller Lustigkeit dann doch nie wirklich um das unbeschwerte Glück und die gemeinsame Lust – es geht um Fortpflanzungspropaganda, aber schön in altkonventionellen Formen. So etwas wie Tom Tykwer in "Drei" versucht kaum jemand als Option zu denken.

Und irgendwie werd ich auch bei MAGIC! das Gefühl nicht los: Mensch, warum muss es denn jetzt wirklich die EinfamilienhaushochzeitmitKinder sein? Dieser Werbefilmtraum wird auch nicht besser, wenn er 10.000 mal ironisch gebrochen ist. Macht doch einfach so los und euch ein schönes Leben. Nur um dem Papa zu zeigen, dass man es drauf hat, genau dessen verbiesterten Weg gehen? Das versaut mir ein bisschen den Spaß an der ganzen Geschichte.

Ich weiß, Sommerhits und Spaßlieder darf man nicht so ernst nehmen. Atweh Nasri hatte einfach Lust auf ein bisschen Belanglosigkeit. Und sich über Spießer lustig machen funktioniert ja immer. Vor allem bei Menschen, die sich hin und wieder genau innerhalb dieser Stereotype erwischen. Vielleicht hilft ihnen das ja, nicht vollends so zu werden wie die Karrikierten.

Freitag, 15. August 2014

David Guetta feat. Sam Martin: lovers on the sun


Spricht eigentlich noch irgendjemand von David Guetta? – Ok, der französische DJ meldet sich seit einigen Monaten wieder etwas vehementer zurück und bewirbt so sein kommendes Album. Aber so richtig der Brüller waren die bisherigen Veröffentlichungen nicht. Shot Me Down als 2014er Version des Cher/Nancy Sinatra-Klassikers Bang Bang – nunja, da gab es schon Originelleres, zumal der große Kill Bill-Hype auch schon mehr als 10 Jahre vorüber ist. Danach dann Bad mit den Niederländern Showtek und Vassy – auch nicht so der totale Gassenstürmer. Nun soll aber alles anders werden.

Und deshalb holt sich David Guetta seinen amtlichen Nachfolger, den schwedischen AVICII mit ins Boot, lässt den mitproduzieren und auch ein paar Instrumente/Computer spielen, und – schwups – ist David Guetta wieder Nummer 1. Mission completed!

Aber oh weh – die Kombination erfüllt genau das, was jeder vermutet hat: Ein bisschen Western-Gitarre zu Beginn, viel AVICII-Rave-Signal und Inbrunsts-Gesang von Sam Martin. Die braven Musikliebhaber müssen sich an nichts Neues gewöhnen. Hat uns letztes Jahr schon mehrfach gefallen – funktioniert immer noch ordentlich gut. Und das Wildwest-Märchen mit ein bisschen Zauberei lässt sogar die Phantasy-Fans eine Kleinigkeit Freude haben.



Alles klar im Dancefloor-Universum: Die Guten sind gut, die Bösen sind böse. Ohnehin spielt alles in einer Realität, die es ja heute gar nicht mehr gibt. Na, da haben wir aber nochmal Glück gehabt.

Wirklich schade, dass die geballte Soundpower, die in der Produktion steckt, spätestens nach der vierten Wiederholung ordentlich nervt. Aber das war garantiert noch nicht das letzte Mal, das wir diesen Titel gehört haben.

Montag, 11. August 2014

Martin Tungevaag: Wicked Wonderland




Elektro-Swing trifft Deep House – so würde ich mal salopp diesen Titel beschreiben.
Das Ganze mit ein bisschen Alice im Wunderland gewürzt, fertig ist der Hit.
Realitätsflucht? Oder Desinteresse? Zweites wäre mir lieber.

Freitag, 1. August 2014

Marlon Roudette: When The Beat Drops Out


Marlon Roudette kündigt sein zweites Album mit einer Vorab-Single an. Ehrlich: Mich hat es bei dieser Nachricht erstmal geschüttelt. Zu präsent ist mir noch das unsägliche New Age, das an sich schon ein ordentlich weichgespülter Titel war, dann aber im Herbst 2011 per Endlos- und Dauereinsatz auf allen möglichen Kanälen richtig penetrant wurde. Wenn irgendetwas an dem Titel gut war, dann wurde es damit restlos und endgültig zunichte gemacht.

Vor einem neuen Werk hatte ich also entsprechend Angst: Eventuell ist das wieder so eine Romantik-Nummer, die vor allem den Formatradioprogrammdesignern gefällt und wunderbar die Hörtapete für die kommenden Monate abgibt. Grrrrrr ....

Aber When The Beat Drops Out erweist sich dann doch als sehr viel weniger schlimm. Das ist dann das Gute an schlechten Vorurteilen – man kann eigentlich nur positiv überrascht werden.

Im Fall von When The Beat Drops Out gelingt das schon mit den ersten Tönen. Da sind Marimba-Klänge zu hören. Schon spulen sich die Karibik-Assoziationen durch den Kopf: Wird das jetzt eine Urlaubs-Ethno-Nummer, die ein bisschen auf die Fake-Brasilien-Präsenz der letzten Wochen aufsetzt? Oder ist das eine Reminiszenz an die 80er und 70er als Verweise auf Südsee-Idylle nahezu die komplette Gesellschaft in Verzückung versetzten? Und hatte nicht eine der vergangenen Smartphone-Generationen dieses Geklimper als Klingelton einprogrammiert? – Gute Voraussetzungen für die schlimmsten Effekte. Aber: Nein – all das findet nicht statt. Marlon Roudette weiß recht geschickt das Instrument einzusetzen als Anklang, als Erinnerung. Deutlich genug um eine süß-nostalgische Stimmung aufkommen zu lassen, aber dann doch kombiniert mit einem zeitgemäßen Beat und Sound, so dass plötzlich sogar die Marimba etwas westlich-zeitgemäßes bekommt. Fast klingt das Ganze ein bisschen elektronisch.

Und damit wird When The Beat Drops Out zu einem Track, der auch in der Großstadtlounge funktioniert. Natürlich genausogut als Strandbar-Sommerurlaubs-Untermalung, aber weniger als etwas, das einen unbekannten oder exotischen Fluchtort beschwört – der Song ist hier und jetzt, Pop im besten Sinne und vielleicht fast so etwas wie die Fortsetzung von Big City Life neun Jahre später.



Natürlich bleibt Marlon Roudette seinem Image als romantischer und sensibler Mann treu. Mit When The Beat Drops Out macht er das, indem er seine Gefühle, das was ihm geschieht, beschreibt als etwas, das ihm so ähnlich beim Komponieren und Musizieren passiert. Er hat zwar eine Idee, vielleicht ist es auch ein Plan oder bloße Neugier – was davon aber gelingt, was daraus entsteht, das ist nicht vorhersehbar. Der Zufall spielt eine recht bedeutende Rolle.

Und irgendwie gefällt mir diese Haltung. Sie lässt tatsächlich offen, das Überraschungen passieren, das eben nicht alles bis ins Detail planbar ist: Beziehung, Ehe, Haus, Kinder, Rente. Es bedeutet auch: Nimm die Gegebenheiten an, gehe damit um, genieße das Schöne daran. Auch wenn mal nicht ganz klar ist, wo das alles hinführt. Schönheit entsteht eben auch durch Unvorhergesehenes.

So überzeugt und bewusst, fast lebenslustig habe ich Marlon Roudette bisher nicht erlebt.

Trotz dieser positiven Überraschung bleibt When The Beat Drops Out ein bisschen gefährlich – oder sag ich vielleicht besser: gefährdet. Wie derzeit eigentlich alles, ist auch dieser Titel bereits Opfer zahlreicher Deephouse-Remixe geworden. In den besten Versionen bleibt die etwas distanzierte Haltung des Songs erhalten, die meisten verlassen sich dann aber doch lediglich auf die Marimba-Hookline und präsentieren eine schnell nervende Sun Of Jamaica-Hymne.




Donnerstag, 24. Juli 2014

PITBULL Featuring Jennifer Lopez & Cláudia Leitte: We Are One (Ole Ola)

Da hab’ ich doch gedacht, ich käme drumrum um den Fußball-Song-Verriss. Aber die deutsche Mannschaft musste ja den Weltmeistertitel erkämpfen und das Land dreht quasi durch. Alles, was hier die große Euphorie nicht vorbehaltlos teilt, landet also automatisch in der Kiste “Spielverderber”. Ok – dann mal los!

Zunächst mal das Positive: Die WM-Songs, die sich in den letzten 8 Jahren durchgesetzt haben, kommen allesamt betont international daher. Zeit, dass sich was dreht von Herbert Grönemeyer Feat. Amadou & Mariam (und inoffiziell Hips Don’t Lie von Shakira & Wycleff Jean) im Jahr 2006, K’Naan mit Wavin’ Flag und (schon wieder) Shakira (featuring Freshly Ground mit Waka Waka 2010 und nun schließlich Pitbull Featuring Jennifer Lopez & Cláudia Leitte mit We Are One (Ole Ola) (und noch einmal Shakira mit Dare (La la la)). Es geht um das Gemeinschaftsgefühl, um den gemeinsamen Spaß, darum, dass die Welt eine Einheit ist und das gemeinsame Spiel verbindet. Wie schön!

Im Jahr 2014 ist es dann aber doch die inoffizielle Hymne Auf uns von Andreas Bourani, die den eigentlichen Songs die Show stiehlt. Es ist immer noch das Wir-Gefühl, das hier zelebriert wird, aber von der ganzen Welt ist nicht mehr die Rede. Da wird schon deutlicher eine Grenze gezogen: Wo es ein Wir gibt, da gibt es auch ein Ihr. Und dieses Ihr, das ist zumindest potenziell immer auch ein Gegner.

Im deutschen Fussball (und Sport) geht es demzufolge auch nicht um das gemeinsame Spiel – es geht immer um den Sieg. Alles andere ist nicht akzeptabel. Und das Ganze endet dann folgerichtig beim Gaucho Tanz. Auch wenn es nur als ein harmloser Witz gemeint war, den Sieg zu holen allein reichte offenbar nicht, der Verlierer muss es auch ertragen können, dass man sich in seiner Freude lustig über ihn macht. Da waren die Gesten nach dem Spiel gegen Brasilien irgendwie kollegialer, respektvoller und angenehmer. Aber da war ja auch der Titel noch nicht gewonnen.

Vom Fußballfeld zurück zur Hymne, die in diesem Jahr tatsächlich nicht gerade vor Überraschungen strotzt. Ist also kein Wunder, dass sich so ein selbstfeierndes Lied mehr durchsetzen konnte. Pitbull als Hauptact zu setzen ist angesichts seiner derzeitigen, weltweiten Verkaufsstatistik nicht mal mehr berechnend zu nennen. Das ist anbiederndes Volksmusikgebaren. Es braucht dann auch nur wenige Sekunden um mitzukriegen, dass Pitbull allerhöchstens noch als Lachnummer zu akzeptieren ist. Die südafrikanische Band Die Antwoord haben da auch gleich ein prima Video zu gemacht: Pitbull Terrier.

Der Song wird dann in ein irgendwie südamerikanisch klingendes Melodie- und Soundgewand gepackt … und prompt gibt es Reaktionen aus dem Land der WM: Warum um alles in der Welt muss es denn so ein klischeebeladener Pop-Ethno sein? Gibt es nicht genügend brasilianische Musik und Interpreten? – Doch gibt es, aber wer versteht das schon in anderen Regionen dieser Welt?


Mit Brasilien hat der Song also nicht so viel zu tun – auch wenn sich das in Mitteleuropa und Deutschland irgendwie immer so anhört. Mit Fußball nur bedingt. Wenigstens bringt das Video ganz schön die Momente voller überschäumender Freude rüber. Wenn das Glück so groß ist, dass man ausnahmslos alle umarmen könnte und mit allen zusammen feiern. In Realität hat das der Song dann aber leider doch nicht hingekriegt. Vielleicht ist Shakira wirklich einfach die bessere Ganze-Weltmusikerin.

Freitag, 18. Juli 2014

SIGMA: Nobody To Love


Wann war eigentlich das letzte Mal ein Drum’n’Bass-Titel so erfolgreich?
Gab es überhaupt schonmal einen Drum’n’Bass-Track, der das geschafft hat?
Ich kann mich nicht erinnern.
Dabei ist dieser Stil gut und gerne schon mehr als 20 Jahre etabliert. Gereicht hat es für den Massengeschmack nie. Was ist nun anders?

Zunächst mal gab es in der Zwischenzeit eine digitale Revolution und damit auch eine ungeheure Beschleunigung des Lebens. Einen Film oder ein Musikvideo aus den frühen 90ern heute anzuschauen ist schier unaushaltbar (so laaaaangweilig sind die). Und selbst solch ein Film wie Sunshine, der ja 2008 irgendwie auch die Langsamkeit zelebriert hat im Vergleich zu Stalker oder Solaris von Andrej Tarkovsky ein atemberaubendes Tempo.

Das mal die ganz platten Vergleiche aus dem Kulturbusiness. Im Alltag selber braucht nur jeder zu schauen, wie lang ein Text heute noch sein darf um wirklich komplett gelesen zu werden – nicht überflogen. Und wieviele Bilder wünschen wir uns dazu? Am besten gleich programmiert als Dia-Schau.

Die immer schnelleren, alltäglichen Abfolgen machen es möglich sich auch an schnelleren Rhythmusstrukturen zu erfreuen. Ein paar hatten dieses Gefühl des Glücks bei Drum’n’Bass eben schon vor 20 Jahren – die Masse zieht erst jetzt so richtig nach. Wie so oft war es zunächst die britische Gesellschaft, die in Sachen Tempo und popkulturellen Moden ohnehin etwas schneller und exzessiver ist und die deshalb vor fünf sechs Jahren begann die Rhythmus-Abfolgen der 90er wiederzuentdecken und neu zu kombinieren. Grime war so ein Ausflug, gefolgt von den etwas gezähmteren Produktionen mit Emeli Sandé und so langsam wurde auch der Kontinent hellhörig. In diesem Sommer nun ist der Weg geebnet genug, dass ein junges Produzenten-Duo wie SIGMA es tatsächlich schafft einen kleinen Sommerhit zu platzieren.

Mit Nobody To Love ist Drum’N’Bass plötzlich da, macht Freude und lässt den Alltagsschrott vergessen. Mit Sicherheit hat die große Nachfrage auch damit zu tun, dass der Verdruss am übermächtigen Deep House-Schubidu doch schon ein paar Leute mehr erfasst hat. Genug zumindest, um wahrnehmbar eine andere Form der elektronischen Entspannung zu propagieren.

Nicht zuletzt zelebriert Nobody To Love auch noch einmal sehr schön das gängige Zitieren und Neu-Verarbeiten von Ausschnitten, das mit der Wiederholung der Wiederholung eine Vertrautheit erzeugt, die mich sofort einnimmt. Vor einem Jahr präsentierte Kanye West bereits den Refrain als Intro und Bridge für seine Auskopplung Bound 2. War nicht übermäßig erfolgreich, aber offenbar präsent genug um ausgeschlachtet zu werden. Mr. Kanye West himself hatte für seinen Track aber auch bereits ordentlich in die Kiste der Musikgeschichte gegriffen. Die Melodie von “I Know You’re Tired Of Lovin’ With Nobody To Love” ist nämlich hübsch arrangiert um ein Melodiestückchen aus dem Jahr 1977, eingespielt von Wee unter dem Titel Aeroplane (Reprise).

Genug Spurensuche betrieben – die 70er und die 90er sind ja nicht nur für SIGMA sehr wesentliche Inspirationsquellen. Da ließen sich hier noch einige andere Beispiele aufzählen, die in ihrer Atemporalität teilweise so klingen, als wären sie tatsächlich in diesen Jahrzehnten entstanden. SIGMA reiht sich also problemlos in den Mainstream ein. Genauso geschieht es auch mit dem Video.



Anhand der Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit mit der hier ein sorgloses und heiteres Leben bebildert wird, mag ich mich gar nicht weiter in die Analyse stürzen. Das würde mir jeglichen Glauben an die Ernsthaftigkeit der beiden Produzenten hinter SIGMA rauben. Immerhin ließ es ja erstmal aufhorchen, dass da anstatt eines gute-Laune-Feier-Party-Hedonismus-Textes erstmal eine Negation als zentrale Botschaft stand: Keinen zum Lieben! – Hübscher Bruch mit gängigen Klischees.

Aber wir müssen uns wirklich nichts vormachen: Mit SIGMA hat Drum’n’Bass endgültig seine Unschuld verloren. Ob das so wirklich nötig war?





Samstag, 12. Juli 2014

The Common Linnets: Calm After The Storm


Und nun schreibe ich an dieser Stelle doch noch über den Eurovision Song Contest. Oder wahrscheinlich eher nicht, dann das Ereignis liegt ja mittlerweile zwei Monate zurück, da ist alles gesagt und analysiert und ausgetauscht was nur geht.

Ungewöhnlich ist es dennoch, wenn sich nach acht Wochen ein Titel immer noch ordentlicher Beliebtheit erfreut. Das kommt dann eher selten vor. Manchmal ist es wie im Fall der Spanierin Ruth Lorenzo so, dass irgendein Sender einen beliebigen Titel nochmal ausgräbt und zum Beispiel in einer Tanzwettbewerbs-Show präsentiert. Dann gibt es nochmal kurz eine Nachfrage nach diesem Song und er hat einen erneuten Aufmerksamkeitsblitz. Aber dass sich so ein Wettbewerber tatsächlich zu einem Radio- und Verkaufshit entwickelt, wie oft haben wir das schon gesehen?

The Common Linnets machen es im Jahr 2014 vor, wie es geht. Zum Contest selber waren sie die heimlichen Gewinner, dann aber doch vom Glamourtrash der Conchita Wurst in den Schatten gestellt worden. Eine Menge schlauer Leute deuteten das Ereignis auch als politische Äußerung – nun ja, das halte ich für etwas überinterpretiert, aber hier bewegen wir uns allesamt auf spekulativem Terrain.
Der zweite Platz brachte der Band nicht nur den euphorischen Superlativ "Bestes Abschneiden eines Niederländischen Beitrags seit 1974" ein, sondern auch im direkt anschließenden Verkauf und Download die erfolgreichste Performance eines zweitplatzierten Titels seit 1969.

Liest sich alles unglaublich gut , ist aber Schnee von gestern (zumindest jedenfalls Schnee vom Mai). Und wie bei allen diesen großereignisgepushten Hits ließ das Interesse auch an Calm After The Storm wenige Tage nach dem ganzen Theater schnell nach. Bis vor wenigen Wochen erneut eine ansteigende Präsenz des Titel zu merken war, welche mittlerweile kulminiert in einer Notierung unter den zehn besteverkauften Titeln in Deutschland.

Und das alles ohne fette Promotion, Fernsehshowunterstützung oder besonders massentauglich produzierte Remixe. Immer noch läuft der rein akustische Countrysong in den Radios hoch und runter und verleiht der allgemein aktuellen Faszination für Country sehr konkret, quasi anfassbar, Ausdruck. Erstaunlich finde ich dabei, dass der Song es wirklich in dieser Reinheit zu solch einer Beliebtheit schafft. Bisher waren die Folk- und Country-Ausflüge zwar deutlich, aber doch immer irgendwie in ein Pop- oder Dance-Gewand gekleidet worden. Die Common Linnets bleiben dagegen ganz sie selbst: Gitarre und Stimme und die Sehnsucht nach der richtigen Entscheidung.

Calm After The Storm ist dabei ganz klassisch auf der Straße angesiedelt, auf dem Weg durch die Einöde und das ungewisse Leben. Die Geschichte ist stark auf die eigene Gefühlswelt beschränkt und erzählt vor allem von der Unsicherheit. Der Rückgriff auf traditionelle Ausdrucksformen und handfeste Musik ist hier eine Reaktion auf zu viele unbeantwortete Fragen. Das ist durchaus ein Unterschied zu der doch ganz gern auch sehr selbstbewusst und meinungsvorgebend auftretenden Country-Szene, die vor allem das ungezügelte Freiheitsideal der Straße abfeiert. Und damit natürlich alles was männlich, naturbeherrschend und gern auch heimatverbunden geprägt ist. Dass sich ein Country-Act selbst befragt und nicht genau weiß, ob diese Reise hier richtig ist, das kommt nicht so oft vor.



Eine Generation auf der ungerichteten Suche also. Wo führt mich mein Weg hin? Ist es der richtige? Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben?

Dass in dieser Orientierungslosigkeit der Rückgriff auf traditionelle Werte zumindest scheinbar Sicherheit verspricht, liegt auf der Hand. Ist auch nicht unbedingt verkehrt, so lange ich weiß, was mir eigentlich fehlt. Gefährlich wird es, wenn Werte aus einer mulmigen Angst vor Kontrollverlust so stark übernommen werden, dass sie zur Norm werden und nichts anderes mehr zulassen. Dann führt die Straße Country nämlich eher zurück in Verhältnisse, die keineswegs besser waren, sondern lediglich brutaler und rücksichtsloser. Kann man nur hoffen, dass die Schrecken dieser Zeit nicht komplett vergessen sind und die Menschen genug Mut haben, sich das Traditionelle für Ihre Verhältnisse und Bedürfnisse anzupassen. Die Common Linnets machen schonmal vor, dass so etwas möglich ist.