Zum Jahresende soll es hier mal um einen gehen, der vermutlich in den kommenden Monaten sehr präsent sein wird im Pop-Business: Tim Bergling – besser bekannt unter einem seiner Pseudonyme AVICII. Gerade ist sein Track Levels (oder auch LE7ELS) äußerst beliebt, sowohl in seiner originalen Form als Clubtrack als auch mit Rap von Flo Rida angereichert und als Good Feeling veröffentlicht.
Wer ist nun dieser Tim Bergling alias Tim/Berg alias Tom Hangs alias AVICII? Sehr wahrscheinlich der nächste David Guetta, zumindest lassen das seine aktuellen Tracks vermuten. Die klingen nämlich arg nach dem Sound des Franzosen. Bei seinem ersten erfolgreichen Hit hierzulande, My Feelings For You war das noch ganz und gar nicht so. Der war zunächst mal noch ein wenig widerborstig und brauchte eins zweimal ehe er im Ohr war. Das ist bei Levels schon komplett wegproduziert: klare eingängige Hookline im Synthie-Sound und ein Refrain-Sample der ebenfalls mindestens eingängig, wenn nicht gar infektiös ist.
Im Grunde ist damit auch schon alles über Levels gesagt: ein sehr gut funktionierender und eingänger Dancetrack, der auf keiner Jahresendparty fehlen dürfte, mittlerweile auch schon verramscht in zahllosen Remixen und MashUps. Go party!
Nun ist also Weihnachten. Zeit für alles Mögliche. Schauen wir mal in die Liste wie 2012 die deutschen Musikkonsumenten ihr Fest gestalten. Da haben wir auf der 1 einen melancholischen Retro-Song, der mindestens die 60er wieder heraufbeschwört, auf der 2 ist ein bittersüßes Stückchen Pop über ein wiedergewonnenes Leben und bei Platz 3 geht es dann doch zur Sache: fröhlich-naive Partystimmung wird hier propagiert. So sieht es also aus – besinnlich besinnlich bis nichts mehr geht und dann ohne jegliche Schwermut abfeiern ebenfalls bis zum Umfallen.
Zwischendrin tummelt sich seit ein paar Tagen auch eine Ballade, die nicht nur wegen ihrer verzuckerten Stimmung gut ankommt, sondern die obendrein noch ordentlich prominent präsentiert wird in einem Film, der mit Sicherheit zu den Familienweihnachtsausflugszielen gehört: Happy Feet 2. Kuschelige Pinguine vertreiben per Tanz böse Mächte und ein kleiner Pinguin ist der Held aller, was ihm dann endlich auch die nötige Menge Stolz und Selbstvertrauen gibt. Ach ja! – So ungefähr jedenfalls.
Wie gewohnt sind die Stimmen in solchen Familien-Animationen mit Stars besetzt. In der englischen Originalfassung kommen Brad Pitt, Matt Damon, Elijah Wood, Robin Williamsund P!NK zu Wort. Letztere darf außerdem den Leitsong des Films singen: Bridge Of Light. Und genau dieser Song schmeichelt sich also in die Ohren, ist untrennbar mit dem Kinoerlebnis verknüpft und wird so zum Verkaufshit.
Die Ballade will Kraft geben und Zuversicht – die Welt ist nicht so schwarz wie sie aussieht und jede/r hat mindestens eine Person die sich um einen sorgt und mit Liebe beschenkt. So ist die Botschaft des Titels. Kann man sich etwas Passenderes zu Weihnachten vorstellen?
Und noch so ein Song, der mit Unverstelltheit und Authentizität punktet: Somebody That I Used To Know vom Australier Gotye. Aber wiederum in einer kleinen Abwandlung. Zeigt sich sehr schön am Video: das beginnt mit einem nackten Menschen vor hellem Hintergrund – ganz neutral, ganz ursprünglich und natürlich. Und dann wird dieses Video samt Person an- und ausgemalt, so dass ein buntes Farbenspiel entsteht. Ganz Kunst ... aber trotz allem weit entfernt von dem, was wir jetzt als künstlich oder gekünstelt bezeichnen würden. Körperbemalung, das ist ja eher so Spür-Mich-und-Finde-meine-Mitte-Kunst, häufig zu therapeutischen Zwecken, manchmal auch einfach nur zum naiv-spaßigen Happening. Da haben also Kunst und Körper eine Einheit gefunden … und an dieser Stelle können wir hunderte philosophische Text lesen.
Für mich bleibt bei diesem In-Eins-Sein dennoch irgendwie ein mulmiges Gefühl. Und das hängt ganz wesentlich mit dem künstlerischen zusammen, das da fast organisch mit Körper und Mensch und Glück einhergeht. Irgendwie kann ich mit Kunst, die eher Fragen aufwirft, mich fordert oder mich total betrifft mehr anfangen. Alles andere ist vielleicht für die Machenden und Kreativen ganz schön – ich bleib aber weitestgehend draußen, zucke mal kurz mit den Schultern und gehe weiter.
Jetzt zur Weihnachtszeit ist natürlich solch ein eher einkuschelnder Sound beliebter. Wer will sich schon zum Jahresende auseinandersetzen – bzw. passiert das beim Familienbeisammensein wahrscheinlich ohnehin genug. Und so ganz glatt ist der Titel ja dann auch nicht. Schließlich geht’s um die Aufarbeitung einer Trennung. Insofern passt Somebody That I Used To Know perfekt zu den Feiertagen: von außen beschaulich schön, auch ein wenig romantisch-melancholisch – innen geht’s dann aber doch um Verdruss, Missverständnisse und natürlich auch ’ne Menge Schmerz. Um im Bild des Videos zu bleiben: hier geht’s auch um eine ungeschminkte Abrechnung.
Und jetzt behaupte ich einfach mal: diejenigen, die diesen Titel gerade über alles lieben und kaufen bzw. downloaden, haben genau diese Raffinesse erkannt und schätzen den Song deswegen. Frohes Fest wünsche ich.
Sie ist wahrscheinlich die erfolgreichste Künstlerin des Jahres. Zumindest, wenn man Nachrichten über sie liest, dann geht es immer nur um Superlative: die erste britische Künstlerin, die innerhalb eines Jahres drei Millionen Exemplare eines Albums verkaufen konnte, die erste britische Künstlerin die in den U.S.A. zwei Nummer 1 Hits von einem Album landen konnte, die erste Künstlerin, die es schaffte 16 Wochen lang mit einem Album die britischen Charts anzuführen ... Adele hat Popgeschichte geschrieben. Vielleicht nicht ganz so deutlich in Deutschland, aber auch hier ist mit Someone Like You mittlerweile der dritte Titel zu einem eindeutigen Hit geworden, der im Verkauf genauso gut abschneidet wie beim Einsatz in den Medien. Adele ist auch in Deutschland ein Star, auf den sich irgendwie alle einigen können.
Es begann Anfang des Jahres mit dem großartigen Rolling In The Deep, welches im Februar für zwei Wochen an der Spitze der deutschen Singlecharts stand und bis heute unter den 100 bestverkauften Tracks der Woche zu finden ist. In ihrer Heimat Großbritannien setzte das richtig große Adele-Fieber schon etwas eher ein. Ende September 2010 sang sie in der britischen Variante von X Factor den Titel Make You Feel My Love von ihrem Debüt Album 19. Daraufhin war die Nachfrage nach dem Titel enorm und als das Album 21 folgte und spätestens als sie zur Verleihung der BRIT awards im Februar 2011 Someone Like You live interpretierte, war es eine regelrechte Adele-Hysterie die losgetreten war. Weder für ihre Alben noch für ihre Singles gab es nun ein Halten mehr.
In Deutschland dauerte es bis zum Herbst, ehe der Someone Like You als Single-Download stärker promoted wurde. Bis heute ist der Titel nicht auf CD-Single erhältlich. Und trotzdem gehört er zu den erfolgreichsten und beliebten. Offensichtlich tut sich nun auch in Deutschland ganz gehörig etwas auf dem Musikmarkt. Gerüchten zufolge wollen die Majors im Jahr 2012 die CD-Produktion mehr oder weniger einstellen. Im Fall von Adele und dem Independent-Label XL hat dieser Verzicht auf ein physisches Produkt bereits stattgefunden und bewiesen, dass es keinen größeren Schaden anrichtet. Ausholen könnte ich an dieser Stelle und noch einmal untersuchen, wo denn das so häufig behauptete gewaltige Innovationspotenzial der Majors liegt … Geschenkt!
Someone Like You ist eine wunderschöne, emotionale Piano-Ballade. Da gibt es nichts weiter als Adeles Stimme und das Klavier. Es ist auch ein wenig ungewöhnlich, dass eine solch sparsam instrumentierte Aufnahme derart erfolgreich ist. Bei Set Fire To The Rain und noch mehr bei Rolling In The Deep war die Instrumentierung und Produktion wesentlich pop-orientierter – insofern ist deren Erfolg weder verwunderlich. Der komplette Verzicht auf Geigen und Schlagzeug machen Someone Like You einzigartig. Und hier drückt sich vielleicht wirklich das aus, was in letzter Zeit unter dem Schlagwort Authentizität, Wahrhaftigkeit und Echtheit immer wieder durch irgendwelche Analysen und Medienberichte geistert. Natürlich ist auch Adele in gewisser Weise eine Inszenierung – aber eben eine, die auf etwas Natürliches, Echtes verweist. Und das auch (bzw. gerade) funktioniert im kleinen, überschaubaren Rahmen, im Club. Es ist also nur konsequent und richtig, dass Adele gern mal auf die großen Konzertbühnen verzichtet. Sie weiß nur zu genau, dass sie vor 20.000 Menschen eigentlich nur noch verlieren kann – zu viel Technik, zu viel Show wäre nötig um das zu vermittlen, was sie gern transportieren möchte.
Interessanterweise sind es ja gerade zwei Titel, die eine ähnliche Richtung beschreiben obwohl sie völlig verschieden sind. Lana Del Rey ist die andere Frau, bei der immer wieder die Begriffe Echtheit und Authentizität fallen – allerdings weil an ihr so gar nichts echt ist. Wahrscheinlich ist es genau deshalb auch völlig überflüssig beide zu vergleichen. Sie nebeneinander zu stellen erklärt trotzdem viel über unser Leben heute und unsere Sehnsüchte. Welche von beiden recht behält, wissen wir in ein paar Jahren.
Vor ungefähr zwei Monaten tauchte eine Künstlerin mit einem Titel allerorten auf und war auf Anhieb so etwas wie Everybody’s Darling. Lana del Rey war geboren und die halbe Welt suchte sich Finger und Augen wund nach Informationen über sie. Was zu finden war, waren die ewig gleichen Informationen – schön voneinander abgeschrieben – und natürlich dieser unwiderstehliche Song Video Games. Wenn man sich nicht sofort mit dem ersten Hören sicher war, dann passierte spätestens bei der dritten Wiederholung dieser Sucht-Effekt. Video Games war drin im Kopf und drauf auf der Liste mit den Lieblingsohrwürmern.
Zum unwiderstehlichen Lied gehört natürlich auch ein Video. Da steht also eine unglaublich junge Frau nahezu emotions- und reglos und singt dieses Lied. Alles ist enorm in eine pastellfarbene Erinnerungssauce getaucht und irgendwie fragt man sich, was die Geschichte hinter dieser endlos romantischen Traurigkeit eigentlich ist. Wirkliche Antworten gibt es nicht. Das tut dem Interesse allerdings keinen Abbruch.
Schließlich folgen auch Live-Auftritte – sogar in Deutschland. Die taz feiert die Sängerin danach auch gleichmal als „Zukunft des Pop“ und „Retro Göttin“. Und wahrscheinlich ist das sogar berechtigt. Ein paar Tage später im Fernsehen bei Ina’s Nacht bleibt von der inszenierten Coolness und Einfachheit nicht mehr so viel übrig. Da sieht es dann wirklich wie ein gelangweiltes Vorstatdmädchen mit aufgeklebten Fingernägeln aus, die wenigen Gesten wirken eher unbeholfen plump und selbst die Magie der Stimme will sich irgendwie nicht einstellen. Ist die wohl kalkulierte Inszenierung so schnell an ihr Ende geraten? Geht’s vielleicht doch nicht ganz ohne wenigstens ein Fünckchen Authentizität und Selbst? Die Kulturkritiker und die Hobby-Pop-Fans dürfen sich darüber in den nächsten Tagen und Wochen gern streiten. Das Album ist für Januar angekündigt und wird vermutlich endgültig unter Beweis stellen, was da dran ist an dieser Lana del Rey. In der Zwischenzeit lässt sich ganz ohne Ideologie und Deutungszwang Video Games hören, denn ein schönes Lied ist es immer noch.
Der Auftritt bei Inas Nacht.
An dieser Stelle aber auch der Tipp: der zweite Song auf der CD heißt Blue Jeans und ist mindestens genauso infektiös wie Video Games
Bang! Gerade habe ich hier Taio Cruz als den Pop-Act der Stunde abgefeiert, da legt sein letzter Single-Partner mit einem fetten Hit nach und verdient mindestens die gleichen Attribute, wenn nicht sogar gleich die ganze Krone. Letztendlich hängt die Entscheidung davon ab, welche Statistik man jetzt für den Nachweis des Erfolges bemüht … Aber sei’s geschenkt. (Der wirklich erfolgreichste Act derzeit ist und bleibt ohnehin erstmal noch David Guetta)
Flo Rida also legt nun endlich mal mit Good Feeling wieder eigenes Material vor. Es ist die Vorabsingle zu seinem Album Only One Rida (Part 2) und – ja, diese Single rockt. Es ist wie eigentlich alles von Flo Rida reiner Good Mood Party Pop. Aber es unterscheidet sich von den Vorgänger-Gastauftritten bei David Guetta und Taio Cruz und das geht ganz entscheidend auf das Konto des Produzenten. Mit AVICII (Tim Bergling) ist das kein Unbekannter, aber eben auch kein zu Tode genudelter. Und es ist einmal mehr ein Europäer. Diese Kombination: amerikanischer Hauptstar, europäischer DJ/Producer ist hier auf dem Kontinent momentan eines der großen Erfolgsrezepte.Von den sechs Usamerikanischen Hits, die es dieses Jahr in Deutschland bis auf Platz 1 schafften, folgen genau drei diesem Schema.Im Jahr davor war es lediglich Lady Gaga, die dieses Prinzip einführte. Bleibt also spannend zu beobachten, ob sich dieser Trend fortsetzt bzw. wie lange da frische Sounds herausgeholt werden können. In einigen Fällen lässt sich ja durchaus eine gewisse Müdigkeit feststellen.
Also – Good Feeling das ist garantiert nicht die Neuerfindung des Pophits. Es ist auch relativ weit entfernt von einem genialen Wurf. Aber es ist ein sehr gut funktionierender Tageshit. Tim Bergling bedient sich dabei deutlich hörbar noch einmal der Formel und des Grundmaterials, welches er schon bei seinem letzten eigenen Hit Levels benutzt hat. Im Moment ist das egal. Wie oft so etwas geht, das frage ich hier aber mal noch nicht.
Betrachtet man das Video zum Song findet sich die gleiche Mischung: US amerikanischer Rapper, der alle Stil-Zeichen von fetter Goldkette bis zu muskelbepacktem und tätowiertem Körper aufweist, treibt sich in Europa rum. Hier ist es lustigerweise Paris, was mir irgendwie so gar nicht einleuchtet. Da gibt es doch im Party-Kontext sehr viel coolere Städte in Europa. Neben altbekanntem Product Placement (ohne geht es im Mainstream-Pop offensichtlich gar nicht mehr) find ich die Fitness-Nummer reichlich abstrus. Hier wird zwar irgendwie ebenfalls die unendliche Party zelebriert, aber statt exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum, statt Party auf dem Dancefloor ist es der Boxkampf, der Ausdauerlauf (auf der Autobahn – wie beknackt ist das denn) und am Ende der Live-Auftritt, der das „Good Feeling“ konkreter werden lässt. Auf eine gewisse Art ist das zwar erwachsener als der Kindertraum von Taio Cruz – auf der anderen Seite entspricht das aber auch ganz schön dem Klischee vom toughen und harten Rapstar. Auf der Bilderseite hat Flo Rida also nicht wirklich was Neues zu bieten. Anmerkenswert ist höchstens, dass es natürlich schon cool kommt, wenn das abgefahrene Motorrad aus TRON Legacy nochmal rausgeholt wird. Das wär ja eigentlich auch schön gewesen, wenn sich die komplette Geschichte ein wenig mehr Cyber getraut hätte.
Er gehört zu den fleißigsten und ausdauerndsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Seit 1971 veröffentlicht er unter eigenem Namen. 33 Alben gehen auf sein Konto, dazu kommen diverse Live-Alben und Kompilationen, ein Musical mit seinen Hits wird in Berlin gespielt. Udo Lindenberg malt außerdem und vertreibt einen Likör. Allerdings muss man auch sagen, dass dieser Erfolg tatsächlich auf jahrelanger Arbeit beruht. Seine ersten Alben wollte anfangs fast keiner hören. Mit Alles klar auf der Andrea Doria von 1973 änderte sich das langsam. Und obwohl einzelne Titel von seinen Alben tatsächlich so etwas wie Hits waren, dauerte es bis 1981ehe sich erstmals eine Single auch vermarktungsmäßig so gut verkaufen konnte, dass es für eine Platzierung in den Charts reichte. Wozu sind Kriege da war so etwas wie der Stein des Anstoßes, danach folgte Der Sonderzug nach Pankow 1983. Seitdem tauchte Udo Lindenberg immer wieder mal musikalisch auf – den ganz großen kommerziellen Erfolg erlebte er vor drei Jahren als Stark wie zwei auf Anhieb Platz 1 der media control Albumcharts belegte. In diesem Herbst gelang ihm das Gleiche mit dem MTV unplugged – Live aus dem Hotel Atlantic-Album.
Was Udo Lindenberg mit seinen Alben widerfuhr, das erlebte er auch mit einzelnen Titeln. Aktuelles Beispiel Cello. Ich kann mich erinnern, dass dieser Titel zum Soundtrack meiner Jugend gehörte, keine zusammengestellte Kassette ohne dieses Lied, und alle konnten mitsingen und träumen. Wie erstaunt war ich, als ich jetzt feststellen musste, dass Cello niemals auf Single erschienen war. Auf dem Andrea Doria-Album 1973 war es der vierte Titel der zweiten Seite, später auf der CD-Veröffentlichung Track 8. Und das war’s.
Wie gesagt, Cello gehört ohne Zweifel zu den „Hits“ von Udo Lindenberg. Deshalb hat es mich auch nicht gewundert, den Titel auch auf dem Unplugged-Album wiederzufinden, jetzt mit Clueso als Partner. Gefreut hab ich mich dann sogar, als der Titel auch per Single veröffentlicht wurde. Sozusagen für alle, die mit Udo Lindenberg dann doch nicht 100% warm werden, aber dieses eine Lied sehr mögen. Überrascht war ich dann, als ich eben jene Single ganz weit oben in den Verkaufscharts wiedergefunden habe: Platz 4. Das ist ordentlich. Für Udo Lindenberg ist es sogar die höchste Platzierung, die er je erreicht hat. Was das nun genau bedeutet, darüber können sich Statistiker und Ökonomen sicher vortrefflich streiten. Auf alle Fälle scheint ein ordentliches Verlangen nach diesem Titel bei einer Menge Menschen auf einmal zu bestehen.
Vielleicht ist die neue Version tatsächlich schöner oder eingängiger. Vielleicht ist sie auch nur eine Variante, die gleichwertig ist. Ich bin mir da nicht sicher. Ist auch egal. – Schön ist in jedem Fall, dass mit der neuen Version so ein Künstler wie Clueso noch einmal ordentlich ins Scheinwerferlicht gerückt wird. Natürlich ist der Erfurter kein Unbekannter mehr. Keinen Zentimeter oder Gewinner sind Titel, die breiter bekannt sein dürften. Dem ganz ganz großen Publikum sagt der Name Clueso allerdings mitunter nichts. Mit Cello könnte sich das vielleicht ein wenig ändern. Und wenn in 30 Jahren Clueso sein Best of unplugged Konzert gibt, dann ist vielleicht auch eine Erinnerung an Cello dabei.
Zu den erfolgreichsten Pop-Artisten des gerade laufenden Jahrzehnts gehört zweifellos Taio Cruz. Sechs Singles hat sein Label in den letzten anderthalb Jahren hierzulande veröffentlicht, fünf davon wurden propere Hits. Die letzte Single Hangover ist nun die Ankündigung seines nächsten Albums TY.O, dessen Veröffentlichung für Januar 2012 geplant ist.
Wie nahezu alle Vorgänger ist auch Hangover ein eher elektro-affiner Party- und Dancetrack, der sich relativ nahtlos in die endlose Reihe von luxusverliebten und konsumfreudigen Hedonismus-Hymnen einreiht. Hier geht es (mal wieder) um den Tag danach, der dann auch gern mal mit ’nem ordentlichen Kater verbunden ist. Taio Cruz’ Mittel dagegen ist: Weiterfeiern! Das passt natürlich ganz hervorragend in ein Leben, das mit Arbeit und Geldverdienen erstmal nichts zu tun hat. Für diejenigen, die das noch nicht erreicht haben (und das dürften nicht wenige sein) ist es zumindest ein erstrebenswertes Ziel.
Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit sind die Konsumenten des Tracks allerdings alles andere als schon für sich selbst verantwortlich – die Teddys und albernen Kostüme, die im Video vorgeführt werden, sprechen da Bände – insofern verdient eine Textzeile besondere Aufmerksamkeit: I don't ever ever want to grow up – Und das zeigt uns Taio Cruz auch gleichmal, wie so ein nicht erwachsener Erwachsener daherkommt. Ziemlich infantil und alles in allem ja doch eher albern.
Mal abgesehen von der Belanglosigkeit und dem fast schon nervenden Product Placement ist das Video an mindestens einer Stelle sogar richtig schlimm. Wenn nämlich Comedian Bobby Lee als Hausangestellter am Ende darum betteln muss, nicht gefeuert zu werden, dann zeigt das nämlich schon ziemlich deutlich, was dieser Luxus auch meint. Klar ist Mr. Taio Cruz kein böser Mensch und findet das höchstens lustig – dass der Hausangestellte sich selbst zur Lachnummer macht, hat allerdings wenig mit Respekt oder Achtung voreinander zu tun. Spätestens hier ist klar, dass diese Art Popmusik nichts weiter macht als die bestehenden Verhältnisse zu wiederholen und damit zu festigen. Unpolitisch ist das ganz und gar nicht.
Vor zwei Jahren tauchte Aura Dione wie aus dem Nichts mit ihrer Single I Will Love You Monday (365) auf und stürmte in aller Ohren. Das war einigermaßen überraschend und hatte ganz sicher auch was mit dem anstehenden Jahreswechsel und ihrem Auftritt in diversen Jahresendshows zu tun. Dann kam im Frühjahr 2010 noch ein Nachfolgehit – Song For Sophie I Hope She Flies -– der besonders von den Radiostationen geliebt wurde und sich so ebenfalls eine ganz anständige Zeit etablieren konnte. Danach war es dann mehr oder weniger ruhig und im Grunde habe ich Aura Dione schon in eine Kiste gelegt, die da beschriftet ist „One Hit Wonder und Ähnliches“. Das war natürlich dumm von mir. Denn beinahe genauso überraschend wie vor zwei Jahren ist Aura Dione wieder da mit einem neuen Hit.
Geronimo läuft schon eine Weile im Radio – hierzulande gibt es die On Air On Sale-Regelung nicht, da setzen die Musikfirmen doch lieber auf Promotion um dann mit Veröffentlichung der CD ordentlich chartmäßig zuschlagen zu können. Im Falle von Geronimo ist die Rechnung auch absolut aufgegangen – trotzdem bleibt dieser Riesenerfolg auch für eingefleischte Marktbeobachter ein wenig überraschend. Ja, die Radioeinsätze sind wunderbar (von 14 auf 6 steigend) – aber es gibt nicht einmal ein Video. Das heisst, es gibt schon ein Video, nur ist dieses immer noch gesperrt. Eine zutiefst seltsame Taktik, die sich nur damit erklären lässt, dass UNIVERSAL tatsächlich der Meinung ist, veröffentlichte Musikvideos schadeten dem Verkauf. Schon auch sehr eigenartig, oder?
Nun – Radioeinsatz und gezieltes Marketing im Sinne von möglichst wenig Material zusätzlich streuen sind sicher ein gewichtiger Grund für den schnellen Erfolg. Ein anderer dürfte die eigentliche Produktion sein. Im Werbetextlein zum Titel wird fleißig damit geprahlt, dass das neue Album von David Jost und Rick Nowels produziert wurde. Das ist natürlich sehr schön, aber was bedeutet das eigentlich genau? Zum Beispiel, dass Aura Dione gar nicht mehr so richtig nach etwas Eigenem klingt – je nach Produzent ist sie mal die Pop-Queen und mal die authentische Liedermacherin. Anhand von Geronimo wird das ziemlich deutlich. Es fängt nämlich an mit „Gi-Gi-Hi-Gio-Gio-Hu-La-La-Let’s Go Geronimo“ – und im ersten Augenblick denke ich: Huch, ist das die neue Lady Gaga-Single. Einen Moment bleibt dieser Eindruck auch, dann wird es etwas rhythmischer und ich höre da so einen Kehlschlag, den ich aber absolut schon von Shakira kenne. So klingt dann auch ein Großteil des Refrains.
Alles nicht schlimm – aber eben doch auch schade. Denn auch wenn ich I Will Love You Mondays (365) nicht so wahnsinnig überzeugend fand, immerhin war es doch sehr sehr eigen und eben Aura Dione. Beim neuen Hit weiß ich nicht so genau, wer das da eigentlich wirklich singt. Das bringt natürlich eine Menge Erfolg. Lady Gaga und Shakira sind ja nun auch nicht gerade unbeschriebene Blätterm – eher das genaue Gegenteil, das sind zwei der erfolgreichsten Pop-Diven der letzten Jahre. Da lohnt es sich schon mal ein klein wenig auf die Rezepte zu schielen. Heraus kommt dann eine Mixtur, die ordentlich Menschen zum Kaufen bewegt.
Jost & Damien Radio Mix von Geronimo
Ich kann an dieser Stelle aber auch ein paar gute Sachen an der neuen Aura Dione finden. Zum einen ist ihr Album bei weitem vielfältiger und da findet sich schon auch der eine oder andere Song, an dem sich so etwas wie ein eigener Stil, eine eigene Interpretationsweise festmachen lässt. Und dann ist Aura Dione auch nicht ganz so laut wie beispielsweise Lady Gaga – hier ließe sich also vortrefflich über den Unterschied amerikanischer und europäischer Produktionen philosophieren. Sind Europäer tatsächlich etwas feinsinniger?
Aura Dione – gern von ihrem Label als Superstar vermarktet – scheint auf dem besten Wege, tatsächlich einer zu werden. Immerhin ist sie erst die zweite dänische Künstlerin, die zwei Nummer 1 Hits in Deutschland verbuchen kann. Das gelang vor ihr lediglich Gitte Haenning vor ungefähr 50 Jahren.
Muss ich eigentlich noch irgendetwas zu Rihannas neuestem Hit sagen? In Sachen Medienaufmerksamkeit wird von ihr ja so ziemlich alles ausgeschlachtet: Rihannas neues Banana-Top, Rihanna unterwegs in der Arktis, Rihanna mag keine Seefrüchte, Rihannas neuer Boyfriend … Es gibt wohl nichts, was wir nicht wissen über sie. Und das ist dann fast schon wieder unangenehm. Eigentlich würde ich sie viel lieber nicht so gut kennen und mich dafür umso mehr freuen, wenn sie mal wieder ein Stück veröffentlicht, das mich überrascht. Aber das geht nicht, denn Rihanna ist nunmal ein Mainstream-Popstar für Teenies und ein wenig Ältere.
Mit We Found Love kündigt sie ihr kommendes Album Talk That Talk an. Da der Song vorher auf noch keinem Album zu haben war, ist es klar, dass er augenblicklich in aller Aufmerksamkeit steht und die Musikmärkte ohne eine Millisekunde Verzögerung überwältigt. Erstaunlich ist eventuell die Wahl des Produzenten und dessen dicke Präsentation als featured artist. Calvin Harris ist nämlich außerhalb seiner Heimat Großbritannien noch ziemlich unbekannt. Mit der aktuellen Zusammenarbeit dürfte sich das vermutlich ändern. Und darüber kann man sehr froh sein.
Das erste Mal trat er (auch in Deutschland) vor etwas mehr als drei Jahren in Erscheinung. Acceptable in the 80s war eigentlich so etwas wie die Hymne einer neuen Synth-Pop-Welle. Allerdings brauchte es erst den Einsatz als Trailermusik bei Germany’s Next Top Model, um auch tatsächlich hierzulande ein paar mehr Leute zu erreichen. Danach wurde es dann ziemlich still um ihn. Nicht so in Großbritannien. Dort entwickelte sich Calvin Harris zum Star. Zwei Nr.1-Singles und vier weitere Hits brachte er in den vergangenen vier Jahren auf den Weg. Und an dieser Stelle könnte ich das Klagelied wiederholen, welches ich vor wenigen Tagen hier über die Veröffentlichungspolitik deutscher Label sang. Aber lassen wir das … Mittlerweile hat ja Superstar Rihanna am britischen Sound Gefallen gefunden und dem DJ und Produzenten einen kleinen Gefallen getan.
Der Song selber hinterlässt mich irgendwie zwiespältig. Da singt Rihanna im Grunde von einem ziemlich großartigen Moment: “We Found Love In A Hopeless Place”, dazu gesellt sich der eher fröhlich aufpeitschende Disco-Beat von Calvin Harris. Könnte eine ganz kitschige Nummer werden. Aber dazu gibt es dieses irgendwie auch verstörende Video. Das ist eben keine großartige Liebe, die sich da auf dem Bildschirm abspielt. Da geht es vor allem auch ganz schön kaputt und abgefressen zu. Extatische Lust und exzessiver Drogenkonsum gehören hier zusammen – der Absturz, Gewalt und soziale Verkrüppelung werden in diesem Fall nicht mal mehr ausgeblendet. Die Yellow-Press hat das alles dann ganz schnell auch autobiographisch gedeutet. Rihannas Ex-Lover Chris Brown soll wohl die Vorlage zur Performance von Dudley O’Shaughnessy. Gut, dass es diesen Link gibt. Sonst wär’s vielleicht nicht so einfach gewesen, diese Dekonstruktion oder zumindest konträre Bebilderung von Hedonismus-Romantik hoch zu jubeln. Medien sind irgendwie auch ziemlich durchschaubar, oder?
Es ist vermutlich arg übertrieben We Found Love als einen Wendepunkt im Mainstream-Pop zu feiern. Das Hochglanz-Luxus-Ding in überproduziertem Stil wird sich noch eine ganze Weile ordentlich verkaufen. Aber vielleicht unterstreicht der Titel und sein Erfolg noch einmal mehr, wofür Rihanna steht. Irgendwie bastelt sie ja schon länger an ihrem „Bad Girl“-Image – jetzt ein wenig mehr weg von nur sexuell verrucht. Eben auch runtergerockt und kaputt. Und das ist vielleicht wirklich das Spannende an dem Track. Denn ganz ehrlich: gesangstechnisch überzeugt mich Rihanna auch hier nicht – aber eben, das gehört vielleicht zum Konzept. Insofern erklärt sich auch, warum die mittlerweile zuhauf zirkulierenden Gitarren-Coverversionen so enorm nerven. Egal ob es Junge oder Mädel ist, der/die da ganz inbrünstig den Text hinaussingt, es macht den Song nicht besser, weil das wahre Gefühl an dieser Stelle eher langweilt. Da hat Rihanna schon die wahrscheinlich beste Interpretation hingelegt.
Und wenn wir schon mal beim Hochglanzbashing sind, dann holen wir doch jetzt mal die Statistik-Keule auch noch raus und sprechen über kommerziellen Erfolg. Und da kann ich nur sagen: Vergesst jetzt einfach mal wirklich Lady Gaga. Die wird zwar mindestens genauso gern durch alle Medien gezerrt – aber wirklich hören (oder sehen) will die doch kaum noch jemand. Oder erinnert sich noch jemand, wie ihr letzter „Hit“ hieß? (Yoü And I – schaffte es grade mal bis Platz 21 in den deutschen Single-Charts) Rihanna legt dagegen locker pro Jahr fünf Top 10-Hits hin, We Found Love ist soeben als ihre vierte Nummer 1 in Deutschland durchgegangen, und trotzdem scheinen die Fans (und Tausende weiterer Musikkäufer) mehr zu wollen. Wie schon erwähnt, das ist irgendwie auch nervend – aber die peinliche Marketingmaschinerie der Komplett-Synthetik-Marionette Gaga hat's mal glatt links liegen lassen.
Es gibt einen ziemlich große n Unterschied zwischen dem, was in Großbritannien musikalisch passiert, und dem, was in Deutschland so erfolgreich ist. Das ist nicht unbedingt ein extrem neues Phänomen, aber es lässt einen doch immer wieder staunen.Da ist zum einen das Tempo: in den britischen Charts gab es gerade einen Sommer des Wechsels: 11 Wochen in Folge gab es jeweils einen neuen Nr.1-Hit mit jeder neuen Ausgabe der Charts zu bestaunen. Die meisten von diesen Direkteinsteiger an der Spitze. In Deutschland dagegen wurde Alexandra Stan (7 Wochen als meistverkaufter Song gelistet) von Marlon Roudette (derzeit 8 Wochen an der Spitze) abgelöst. Dazwischen ein kurzer Besuch von Danza Kuduro als Intermezzo. – Das ist vielleicht auch ganz angenehm, wenn es nicht jede Woche DEN ultimativen Hit zu feiern gibt. Schauen wir uns die folgenden Platzierungen an, kommt aber das große Gähnen auf: keine Überraschungen. Nahezu Woche für Woche keine Veränderung – vielleicht mal ein Titel, der es irgendwie schafft, die Gunst der Käuferscharen zu erreichen. Es sei denn, es wird ein Ereignis wie der Bundesvision Song Contest gefeiert, dann gibt es – zumindest für kurz – ein paar mehr neue Titel zu entdecken.
Alles das ist natürlich leicht zu erklären. Der deutsche Musikmarkt ist ein ziemlich großer. Und große Dinge sind nicht so leicht zu bewegen. Die gesamtdeutschen Charts werden also immer behäbiger sein im Vergleich zu solchen wenidgen, wie den britischen. Aber es hat auch ein wenig damit zu tun, wie vorsichtig hierzulande Label agieren. Bestes Beispiel: example. Seit zwei Jahren taucht er im Zuge der Grime- und Dubstep-Euphorie beständig in den britischen Charts auf. In Deutschland – Fehlanzeige! Niemand traut sich an den Sound ran. Und dabei ist dieser energiegeladen, mitreißend, ungehört wie lange nichts mehr. Es braucht erst einen properen Nummer1-Hit in Großbritannien bis hierzulande ein Label aufmerksam wird. Mitte Juni ist es dann soweit: Changed The Way You Kissed Me stürmt an die Spitze der britischen Charts. Als Backgroundtrack für den Adidas Predator-Football-Schuh hatte der Titel auch enorme Präsenz in den britischen Medien. In Deutschland dauerte es noch gut ein Vierteljahr (mittlerweile hatte example mit Stay Awake einen weiteren Nummer 1-Hit in Großbritannien) bis der Titel hier dann endlich auch veröffentlicht wurde. Da hatten die wirklich Musikbegeisterten den Track bereits aus irgendwelchen Quellen geladen. So blieb dann auch der ganz große Knall aus. Immerhin, Changed The Way You Kissed Me schafft es bis unter die Top 10 – eventuell ist der Sound auch tatsächlich zu britisch, nicht einfach eine 4/4 Bassdrum und ein Fussballchor – das was example da veranstaltet ist ja beinahe schon intellektuell im Vergleich. Und hier spielen vielleicht auch die unglaublich langsamen deutschen Mainstream-Medien eine Rolle. Welche Service-Welle präsentiert denn wirklich diesen Sound. Selbst das, was unter Jugendradio läuft vertraut ja lieber dem gitarrenorientierten Rock oder ganz ganz einfachen Strukturen. In so einem Umfeld haben es example oder auch Nero natürlich nicht einfach. Es ist fast so etwas wie Nischenmusik. Das kann allerdings auch bedeuten, dass sich so jemand wie example auf Dauer etabliert – zwar niemals mit dem ganz großen Hit, aber dafür über Jahre präsent. Es wird schön, das zu beobachten.
Und für alle, die nicht länger warten wollen, gibt’s hier schonmal die ganz neue Single Midnight Run
Offensichtlich ist da was dran, wenn Leute behaupten: Die zweite Platte ist am schwersten. Angenommen da hat jemand einen Song veröffentlicht, der enorm viele Menschen fasziniert und begeistert, der sich also gut verkauft und sogar in den Radios gespielt wird. Da sind dann natürlich alle neugierig: was wird wohl als nächstes kommen? Das Album ist dann mittlerweile auch schon draußen und prinzipiell weiß man,w as da zu erwarten ist. Aber es muss dann doch noch eine zweite Single sein: für Fernsehen und Radio – vielleicht auch für ein paar nette Neuabmischungen und –versionen. Aber wird man die Leute wirklich noch einmal so richtig überraschen können? -– Schwerlich.
Ich vermute, so ähnlich muss es dem Berliner Tim Bendzko oder wenigstens seinem Label Columbia / SONY gegangen sein. Nur noch kurz die Welt retten war so etwas wie ein Überraschungshit – geliebt von nahezu allen. Sein Debut-Album Wenn Worte meine Sprache wären verkaufte sich ebenfalls ordentlich. Und dann? Dann kam der Bundesvision Song Contest bei dem Tim Bendzko für Berlin startete. Mit dem Titelsong seines Albums. Und auch gewann. Aber was ist das eigentlich für ein Song?
Zuerst mal fängt es ganz sachte an, ist ganz ähnlich poetisch wie der Vorgänger. Irgendwie klingt die Stimme aber doch viel mehr nach einem, den ich schon nicht mehr hören kann. Warum eigentlich? Dann höre ich ein Cello und zucke zusammen: Auweia, das ist ganz schön kitschig-romantisch. Als dann der Gospelchor im Hintergrund einsetzt, wird es tatsächlich zum Xavier Naidoo-Abklatsch. Also etwas, das nur funktioniert, wenn ich totaler Fan bin. Oder verliebt. Oder am besten beides.
Glücklicherweise ist Tim Bendzko immer noch der bessere, weil lebendigere Soulsänger von den beiden. Und es ist ja auch erlaubt eine ordentlich kitschige Romantik-Ballade zu produzieren. Froh wäre ich trotzdem, wenn es beim nächsten Mal ein bisschen weniger Gefühlsduselei und dafür wieder mehr echtes Empfinden, vielleicht auch insgesamt gebrochener und vielfältiger gäbe.
Wie schon gesagt: gewonnen hat Tim Bendzko den Song Contest. Auch wenn es die niedrigste jemals erreichte Punktzahl für einen Siegertitel ist. Im Verkauf kann die Single auch ordentlich punkten – für eine Zweitauskopplung eines Newcomers auch schon sehr beachtlich. Das schaffen ja vor allem die Casting-Produkte mit gehörig Werbeaufwand. Das ist insgesamt schon sehr beachtlich. Trotzdem bleib ich dabei: noch einen Jammerbackensong mehr brauch ich nicht. Und höre mir – wenn es denn schon sein muss – lieber den bekannteren Hit an.
Genau genommen war nicht zu erwarten, dass Sean Paul nochmal so einen richtigen Hit landen würde. Seine Alben Dutty Rock und The Trinity waren in den frühen 2000ern prägend für den kompletten Dancehall-Sound, hatten ihn mehr oder weniger salonfähig gemacht. Als 2009 Imperial Blaze kam, hatten schon Pitbull und Daddy Yankee die Herrschaft übernommen: härter und electroaffiner.
Nun also Got 2 Luv U, das klingt als wäre es wieder 2002 und nichts geschehen. Immerhin hat sich Sean Paul ein neues Image und Outfit zugelegt. Im Video tritt er modischem Iro auf statt Rastas, der Hoody-Parka wurde ausgetauscht gegen einen Smoking und statt Lagerhausclub ist es die Hochglanz-Laser-Disco und das schnieke Rockhotel, das als Kulisse herhalten darf. Da hat es also einen gehörigen Rutsch in Richtung in Glamour und Luxus gegeben-. Und damit schwimmt Sean Paul schön in der Konsens-Sauce, die derzeit überall rauf und runter läuft – vielleicht nicht ganz so übertrieben dekadent wie beispielsweise DJ Antoine oder auch Pittbull, aber auch nicht wesentlich verschieden. Got 2 Luv U steht also für das vollkommene Mainstream-Produkt, wahrscheinlich genau kalkuliert, denn nach 6 Jahren war es wohl mal wieder nötig einen Top 10-Hit zu platzieren um den Status als erfolgreicher Produzent zu untermauern. (Zumal bei der enorm erfolgreichen Konkurrenz aus Kuba und Puerto Rico.)
Um die Single aufzupeppen hat sich Sean Paul Alexis Jordan ins Studio geholt. Hierzulande hatte sie einen ersten winzigen Achtungserfolg Anfang des Jahres mit Happiness, für meine Begriffe einer der bestechendsten Popsongs des Jahres – wirklich erfolgreich war sie damit allerdings nur in Großbritannien. Mit Got 2 Luv U kann sie sich erstmals einer breiteren Masse vorstellen und ins Bewusstsein bringen. Ob es für den Beginn einer langen Karriere reicht, werden wir sehen. Im Augenblick finde ich sie insgesamt eher farblos und ohne explizit eigenen Stil. Was nicht schlimm sein muss in Zeiten, in denen der richtige Produzent wesentlich prägnanter für den Erfolg ist als eine prägnante Stimme oder Art Titel zu interpretieren.
Als ich Turn This Club Around das erste Mal hörte, da hab ich eigentlich auch schon wieder weggehört. Noch so ein Dancefloor Titel á la Flo Rida, Taio Cruz oder so ähnlich … Und damit hatte ich offensichtlich das Potenzial unterschätzt, denn wenige Tage später, da ist dieser Track so etwas wie das neue Muss. Für mich klingt er immer noch nicht origineller und die neue Qualität daran kann ich nicht wirklich erkennen. Neu ist vielleicht, dass es sich hierbei nicht um eine amerikanische Produktion handelt, sondern dass es aus einem deutschen Produktionsstudio kommt. Hinter r.i.o. stecken nämlich DJ Manian aka Manuel Reuter und Yann Peifer. Und diese beiden sind auch die Produzenten hinter Cascada, mit dem sie es in den vergangenen sechs Jahren immerhin zu drei ganz veritablen Hits brachten. Mit Everytime We Touch gelang ihnen im Jahr 2005 der Start, 2007 folgte What Hurts The Most und vor zwei Jahren schließlich ihr erfolgreichster Track Evacuate The Dancefloor. Mit ihrem anderen Projekt, r.i.o., sind sie seit 2007 aktiv. Erste Erfolge gab es mit Shine On im Jahr 2008 und Like I Love You in diesem Jahr. Nun also Turn This Club Around.
Warum der Track um ein Vielfaches erfolgreicher ankommt hat verschiedene Gründe:
Erstens wurde für Turn This Club Around eine neue Stimme engagiert: U-Jean heisst der Mann, der für die Vocals sorgt. Und dieser Wechsel wird offensichtlich gern gehört. Nicht, dass Tony T. so völlig anders klingen würde – ich vermute, es ist tasächlich eher dieses Signal: hier tut sich was. Alle, die irgendwann schon mal einen Track von r.i.o. gut fanden – und das dürften gar nicht so wenige sein – die kriegen hier den altbewährten Sound und trotzdem etwas anderes. Und das macht den Reiz aus.
Zweitens dürfte es die ziemlich eindeutige Anlehnung an international erfolgreiche Hits sein. Dabei ist es viel weniger das 1:1 covern eines erfolgreichen Hits (obwohl das ja im Falle von Cascada schon gut funktioniert hat) sondern es ist wohl eher dieses Anlehnen an einen aktuellen Sound und das Nutzen angesagter Elemente. Oder könnte irgendjemand haargenau identifizieren, welcher Track im Falle von Turn This Club Around verwurstet wurde?
Drittens gehört zum schnellen Erfolg wohl auch die progressive Videopolitik des Labels KONTOR, die explizit darauf achten, dass die Clips eben nicht nur auf den labeleigenen Plattformen laufen, sondern eben auch beim Marktführer youtube. UNIVERSAL & Co fahren in dieser Hinsicht ja das komplette Gegenprogramm, nicht immer zu Gunsten der veröffentlichenden Künstler. Und selbst so ein ... nunja eigentlich sogar bretzdämliches Video wie das von r.i.o. schafft es in wenigen Tagen auf 1 Millionen Ansichten – wenn das nicht eine eigene Sprache spricht …
Mit ihrem siebten Charthit als r.i.o. gelingt dem Produzententeam Reuter/Peifer jedenfalls ihr größter Charterfolg. Platz 3 als reiner Downloadtitel ist vielversprechend. Ob es tatsächlich Lust auf Mehr macht, wage ich hier erstmal nicht zu behaupten. Zumindest hat sich das Duo ziemlich eindeutig als eines der erfolgreichsten Produzentengespanne der noch jungen 2000er etabliert. Endgültig.
Deutsche Acts haben es tatsächlich schwer. Vielleicht nicht die, denen es reicht für ein paar Tage Superstar zu spielen. Aber die, welche Musik als Beruf betrachten und ernsthaft an einer längeren Karriere bauen, die müssen schon ziemlich hart im nehmen sein. Jahrelang touren sie umher von Kleinstadt zu Kleinsadt, veröffentlichen CDs im Eigenvertrieb, schreiben Songs – und doch will es mit dem richtig großen Hit nicht klappen. Vielleicht auch, weil es irgendwie anbiedernd aussieht, wenn man plötzlich in aller Ohren ist. In Deutschland ist es irgendwie nicht erstrebenswert oder künstlerisch wertvoll, einen Titel zu schreiben/singen, der alle mitreißt und dann womöglich auf Platz 1 der Charts landet.
Von diesem langen Weg, der zur würdevollen Nr.1 führt, können einige der ganz Großen ein Lied singen. Udo Lindenberg zum Beispiel begann schon 1969 mit dem Musikmachen. 1971 erschien seine erste LP. Wenig später kam dann der Erfolg, allerdings nur auf dem Markt für Langspielplatten. Zwar waren seine Titel bekannt und wurden allerorten gespielt, nur verkauft wurden sie nicht. In den 70ern waren Singles irgendwie nicht sexy genug, um sie massenhaft auf den Markt zu werfen. Oder zu teuer in der Produktion. Bei Udo Lindenberg dauerte es tatsächlich bis 1981 ehe es ein einzelner Titel als Single in die offiziellen Charts schaffte.
Oder auch Herbert Grönemeyer. Der wurde zwar ziemlich schnell hofiert und hatte seine Auftritte in Fernsehshows und im Kino – sogar ein wirklich durchschlagender Hit war mit Männer ziemlich bald am Start, aber dann war auch irgendwie wieder Ruhe – zumindest was den Verkauf von Singles, also Tageshits anging. Und auch hier: Titel, die im Radio liefen oder von Kassettengeräten, die gab es von ihm zur Genüge. Erst 18 Jahre, nachdem er das erste Mal in den Charts aufgetaucht war, erreichte er in Deutschland tatsächlich auch die Nummer 1. Heute gehört er zu den ganz großen des Musikgeschäftes und sowohl seine Alben wie Einzeltitel platzieren sich regelmäßig ganz oben in den Listen.
Auch über das Berliner Duo Rosenstolz lässt sich eine ähnliche Geschichte erzählen. 1991 tauchten sie erstmals auf. In Subszenen sofort geliebt und vergöttert. Mit einem breiten Erfolg dauerte es jedoch bis 1998. Da waren dann schon etliche Alben und Singles auf dem Markt.Und dann dauerte es weitere 10 Jahre, bis sie wirklich einmal den Thron der SinglesCharts einnehmen durften. Das war im Jahr 2008. Gib mir Sonne war die Signet-Single aus dem letzten Album, welches wie seine beiden Vorgänger Platz 1 der Albumcharts belegen konnte. Und es war tatsächlich auch ein Hit – also ein Lied, das in den Köpfen der Menschen ankam und sie begleitete. Im Radio, Fernsehen, zu Hause …
Die folgenden als Single ausgekoppelten Titel schafften jeweils zwar auch noch den Einzug in die Top 10, aber sie verschwanden von dort auch genuaso schnell wieder. Insofern kann man hier zu Recht fragen: was bedeuten schon diese Single-Charts? Was sind Platzierungen? – Zumal 2008/09 in Deutschland immer noch eine Zeit war, in welcher der Digitalmarkt eher unterbelichtet funktionierte.
Heute ist das vielleicht schon ein wenig anders. Klar gibt es immer noch kurzlebige Hits: schnell auf den Markt gebracht, am besten zu einem bestimmten Anlass, massiv im Fernsehen präsentiert, und dann klapptes auch mit einer guten Platzierung. Aber schnell sind diese Eintagsfliegen auch wieder weg. Oder wer kennt heute noch den Superstar von 2008? 2009? – vielleicht letztes Jahr?
Mittlerweile ist der Markt langsamer geworden. Selbst ein Pietro Lombardi schafft es seinen Siegertitel über 12 Wochen zu verkaufen. Was auch bedeutet, dass es eben doch über längere Zeit eine Nachfrage gibt, dass es so etwas wie eine Begleitung unseres Lebens wird, ob wir es wollen oder nicht.
Dagegen haben es CDs im Langformat mittlerweile schwerer. Sie werden natürlich nach wie vor produziert, promotet und verkauft – bringen ja auch mehr Geld ein als Singles, aber die Halbwertszeit ist in den meisten Fällen enorm kurz geworden. Und ich hab das Gefühl, dass weniger und weniger Menschen tatsächlich die 12 bis 18 Titel einer Zusammenstellung durchhören. Vielmehr ist ein „Cherry picking“ zu beobachten. Lieblingstracks werden ausgewählt und in einer eigenen Playlist zusammengestellt, per Download-Link geteilt oder mit einem Fan-Video versehen (sehr häufig auch in der nachgesungenen Variante – denn das mit dem Original-Verteilen ist ja nach wie vor noch illegal). Bestes Beispiel für solch ein Verhalten ist die jüngste David Guetta CD. Acht Tracks des Albums schafften es zeitgleich in die Charts – egal ob als offizielle Single mit einem Video versehen oder nicht. Damit haben die Singles-Charts eben doch eine Relevanz. Allerdings ist es enorm schwierig genau zu filtern, welcher Titel sich warum platziert. Aber eventuell ist das auch völlig unnötig.
Zurück zu den deutschen Acts – zurück zu Rosenstolz. Sie haben nun das goldene Zeitalter der CD in den 90ern genauso mitgemacht wie den Niedergang des physikalischen Handels. Jetzt befinden sie sich im Digitalzeitalter und scheinen sich auch hier wohl zu fühlen. Allerdings ist ihre Vorabsingle Wir sind am Leben zum gleichnamigen Album tatsächlich auch Anfang September auf CD erschienen und spricht damit auch die Zielgruppe der etwas älteren Musikkäufer ab Mitte 30 an. CDs brauchen wegen der etwas seltsamen deutschen Regelung der Umsatzcharts etwa ein Drittel bzw viertel weniger abzusetzen um auf gleicher Position wie die Digitalkäufe gewertet zu werden. Der große Erfolg de Titels gleich nach Veröffentlichung muss also noch nichts über seine tatsächliche Beliebtheit aussagen. Wir werden es in den kommenden Wochen erleben, spätestens nach Veröffentlichung des Albums.
Der Titel selber – Wir sind am Leben – ist ein Hymne auf den Mut zum Leben, auf die Lust am Leben, auf das Verwirklichen von Träumen und Wünschen. Ich würde sagen, der Text darf als autobiographisch angesehen werden, denn 2009 gab es für das Duo eine jähe Unterbrechung nachdem Sänger Peter Plate an einem Burnout erkrankte und für eine längere Zeit aussteigen musste. Diese Erfahrung muss einschneidend gewesen sein, so wie Anna R ihre Botschaft in die Welt singt. Lebt heute – wer weiß was morgen ist. Und ein kleines Stück geht sie noch weiter wenn sie fragt: wofür hast du gelebt? Was wolltest du eigentlich mit deinem Leben?
Vermutlich ist das eine Boptschaft die dann doch sowohl bei den etwas älteren Albumkäufern wie bei den ganz jungen Digital Natives ankommt.
Es ist September und damit kommen noch einmal Titel zu Ehren, die uns durch den Urlaub begleitet haben. Das sind dann meist Tracks aus den klassischen Partyhochburgen irgendwo aus Italien oder Spanien. In diesem Jahr ist es der spanische DJ Sak Noel, der die Nase vorn hat. Wobei ich Loca People [What The F**k!] erstmals in Belgien zu hören bekam – da hatte sich der Track bereits als Partyhit europaweit durchgesetzt. In Deutschland hat es mit der Veröffentlichung mal wieder ein wenig länger gedauert, nun ist der Track allerdings sowohl als Download wie auch auf CD erhältlich. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass sich as Label Columbia / SONY in Deutschland sogar noch ein neues Cover hat einfallen lassen. Eines, welches treffend beschreibt, in welcher Ecke hier elektronische Urlaubs-Party-Mukke gehört. Ist bei m Original Mr. Sak Noel selbst auf dem Cover zu sehen – also eindeutig der Fokus auf die Person, den Künstler, vielleicht auch die Party und im besten Fall die Musik, die eben nichts weiter will als einen Sommer lang junge Menschen durch die Nacht begleiten – so ist es in Deutschland eben ein Frauenunterleib mit breitem Gürtel, sexualisiert auf ziemlich niedrigem Niveau. Die (Urlaubs-)Party bedeutet dem deutschen Mainstream offensichtlich lediglich eine zügellose Orgie bei welcher der Sound im Grunde nebensächlich ist.
Cover Deutschland und international
Nun will ich nicht behaupten, dass Loca People besonders filigran oder ungewöhnlich ist. Und sehr wohl wird es auch für Spanier, Franzosen, Briten oder Tschechen auf Urlaubsparties mehr als nur ums Tanzen gehen. Spätestens wenn man das Video gesehen hat ist klar, dass auch hier Sex und Alkohol eine ganz gehörige Rolle spielen. Allerdings ist es schon erstaunlich, wie sehr der Sex in Deutschland zum Verkaufsargument (und zum einzigen Zweck?) geworden ist. Und das ist einmal mehr bemerkenswert, weil es im erzählten Text ja vor allem um Viva la fiesta! Viva la noche! Viva los DJ’s! geht.
Der Track kann musikalisch schon fast als klassischer Urlaubshit angesehen werden. Das Schema Elektrobeat, darüber Sprachsamples einer Frauenstimme und ein markantes Pfeifen-Piepen-Quieken … fertig. Kaum jemand wird das als Meisterleistung bezeichnen, aber es funktioniert, und einmal gehört erkennt man den Track überall wieder.
In so ziemlich gesamt Westeuropa hat es bereits funktioniert. In Österreich, Belgien, Dänemark und den Niederlanden erreichte Sak Noel sogar Platz 1. In Deutschland reicht es immerhin für Position 5 (Stand 16.September) -– allein das ist allerdings schon der erfolgreichste Titel aus Spanien seit Las Ketchup mit dem Ketchup Song (Aserejé) Europa überrollten. Das war 2002 und die Geschichte, wie der Titel nach Deutschland kam verlief ganz ähnlich wie jetzt bei Sak Noel.
So hat also spanische Musik in Deutschland zwangsläufig diesen Beigeschmack von schneller und primitiver Party. Titel von Enrique Iglesias erscheinen da schon richtig anspruchsvoll. Von anderen Acts gleich ganz zu schweigen.
Ich bin mir nicht sicher, wann ich das letzte Mal einen Titel von MAROON 5 so richtig umwerfend fand. Irgendwie hat es mich nie angefixt. Und das liegt nicht daran, dass MAROON 5 handwerklich nichts drauf hätten. Es war für mich einfach nicht infektiös genug – oder auch zu wenig catchy.
Das Ganze hat sich genau jetzt geändert. Mit Moves Like Jagger. Seit 29. August ist das aktuelle Album Hands All Over auch in Deutschland in der 2011er Re-Edition auf dem Markt und damit auch Moves Like Jagger und das Queen-Cover Crazy Little Things Called Love. Ein Jahr vorher war es trotz positiver Rezensionen mit dem Album nicht so sensationell gelaufen. Sicher besteht die Hoffnung, mit einem ordentlichen Hit die Verkäufe hier noch einmal anzuheizen. Mit Moves Like Jagger könnte das sogar funktionieren. Denn schon bevor die Single komplett als CD erschien war der Titel so gefragt, dass er sich in den Verkaufscharts ganz vorn platzieren konnte. Sogar trotz der recht restriktiven Politik des Labels UNIVERSAL. Das Video ist nämlich auf nahezu allen Plattformen gesperrt, außer bei tape.tv und myvideo (myvideo gehört Pro7, die ja sehr sehr gern mit UNIVERSAL kooperieren und tape.tv speist sich ohnehin nur aus der Musik der Majors). (Legales) Virales Marketing, spontanes Teilen und Weiterverschicken findet also nicht statt – trotzdem ist der Titel populär: das spricht für seine Qualitäten.
Wenn man den Zahlen und Statistiken glaubt, dann ist Moves Like Jagger tatsächlich der erfolgreichste Titel der Band überhaupt. Bereits jetzt schon beliebter (Platz 3 in den media control charts mit steigender Tendenz) als es This Love seinerzeit im Jahr 2004 war (Höchstposition Platz 5). Woran liegt das? An dem ins Ohr gehenden Beginn mit Pfeifen und Ohrwurmqualität? An der geschickten Zusammenarbeit mit Christina Aguilera? Oder ist es der Bezug auf den Rock-Veteran Mick Jagger? Oder weil Sänger Adam Levine tatsächlich Jaggerhafte Qualitäten zur Schau stellt?
Das was den Titel zu einem unwiderstehlichen Popsong macht, das ist die Leichtigkeit mit der er daher kommt. Adam Levine weiß, dass er gut ankommt, dass er was drauf hat. Und deshalb kann er und seine Band sich auch trauen mal locker einen Dance-Pop-Track hinzulegen. Da ist nichts zu sehr gewollt und forciert, da gibt es eine gehörige Portion Freude und Lust, da klappt der Flirt weil jede Pose auch genauso gemeint ist. Eindrucksvoll!
Und an dieser Stelle würd ich sagen: das ist der Titel, der uns durch den Herbst begleiten wird – wahrscheinlich sogar länger als Marlon Roudette oder die gerade wie wild über uns hereinbrechenden Sommer-Dance-Tracks. Ich fänds gut.
Die Sommerpause 2011 ist vorüber – endlich! Zu erkennen ist das daran, dass es plötzlich wieder jede Menge neuer Musik zu erforschen gibt. Nicht bloß mal so ein oder zwei relevante Titel … Wobei, neue Musik gab es natürlich auch im Sommer 2011 en masse – nur eben konnte sie sich nicht in der breiten Masse durchsetzen, weil die großen Labels arg vorsichtig und unsicher agieren und in den Sommermonaten nichts riskieren wollen. Mitte August nun endlich ist die Flaute vorbei. Ein Blick in die aktuellen Charts sagt uns: 13 Neueinsteiger! Das ist schonmal ordentlich und nahezu der Spitzenwert im Jahr 2011. Klar gab es vor zwei drei Jahren auch schon Zeiten, in denen 20 neue Titel pro Woche der Standard waren …
Der Titel, der sich am schnellsten durchsetzen konnte, gehört zu einem Film. Ob es nun dieser Link ist oder der Titel so ganz für sich allein attraktiv genug ist, das bleibt wilde Spekulation. Ich für meinen Teil bin ziemlich überzeugt, dass ohne den Film What a Man auch New Age von Marlon Roudette wenig Chancen gehabt hätte. Zumal der Titel ohne den Film gar nicht existieren würde. Der neue deutsche Filmstar Matthias Schweighöfer, der What a Man geschrieben, gedreht, zum Teil auch geschnitten und natürlich die Hauptrolle gespielt hat, hat nämlich auch ganz gehörig an der Zusammenstellung des Soundtracks mitgewirkt. Und wenn man den Gerüchten glauben schenken darf, dann war es Herr Schweighöfer sogar persönlich, der Marlon Roudette bat, den Titelsong zu schreiben.
Worum geht’s in What A Man? Alex Nowak wird von seiner Freundin verlassen und versucht daraufhin, sich selbst (und ihr natürlich) zu beweisen, dass er ein richtiger Mann ist. Logisch dass das nicht ohne sehr viel Komik geht. Der neue deutsche Film setzt mal wieder auf locker-lustige Beziehungskomödien. Nicht wirklich neu, aber immer noch sehr beliebt und auch von der Mehrheit der Filmbewerter und Kritiker sehr gemocht. Dazu eine prächtige Werbemaschinerie und schwupps… der Film lockt sofort am Startwochenende 340.000 Zuschauer ins Kino und legt damit das beste Ergebnis seit Kokowäh hin. Bezeichnenderweise genau der Film, der zuletzt einen Soundtrack-Titel bis an die Spitze der Verkaufscharts katapultieren konnte (HURTS mit Stay Platz 2).
Und nun zur Musik: New Age ist ein Romantik-Popsong mit viel Klavier und seichten Summ-Chören im Hintergrund. Melancholisch getragen – entspricht genau dem erfolgreichen Bruno Mars-Gefühl. Alles ein bisschen traurig verliebt, süßlich schmerzverliebt – kurz: romantisch. Das erkennt man alles schon am Cover der CD und das gefällt den deutschen Musikkäufern. Und den Radiostationen auch. Ein Titel, der nirgendwo stört. Und der endlich mal mit dem sonst überall ertönenden Rumsbums nichts zu tun hat. Das sind offensichtlich die Gründe, weshalb New Age derartig einschlägt und wohl für die nächsten Wochen und Monate den Alltagssound mitbestimmen wird.
Marlon Roudette selber ist kein Unbekannter in Deutschland. Er war/ist eine Hälfte des britischen Duos Mattafix, welches besonders 2005/2006 mit Big City Life erfolgreich war. Es reichte sogar für drei Wochen zum meistverkauften Titel – in der Jahresauswertung 2006 dann Platz 7. Fünf Jahre Differenz, da lassen sich durchaus schon mal Vergleiche anstellen: Wo hat sich der erfolgreiche Sound und damit der Geschmack der breiten Masse hinbewegt. Erster Eindruck, die Grundstimmung ist ähnlich: romantisch verklärte Melancholie. 2006 war das Ganze allerdings wesentlich rhythmusorientierter, angereichert sogar mit einem Rap-Part und eindeutig synthetischem Sound. In der extremeren Version hieß das damals Electro-Clash.
2011 ist wesentlich weicher und in der Instrumentierung klarer – vielleicht ehrlicher. Das Schlagzeug wird vermutlich wirklich gespielt und ist kein Drumcomputer, das Klavier sowieso ganz echt und nur ganz sacht dürfen noch Synthesizer-Klänge als solches im Hintergrund wimmern. Natürlich wissen alle, dass auch diese Aufnahmen per Computer mehrfach überarbeitet und geglättet wurden – aber es klingt authentisch und niemand würde sich wundern, wenn Marlon Roudette diesen Song mit einem echten Orchester vortragen würde. Klingt wahrscheinlich genauso.
New Age ist ein Song, der noch einmal zu 100% in die Welle „Neue Romantik“/“Neue Bürgerlichkeit“/“Ehrliche Musik“ passt. Vielleicht ist es sogar so etwas wie ein weiterer Höhepunkt. Von Rolling In The Deep bis Over The Rainbow gibt es da ja schon einige Beispiele in der jüngeren Pop-Geschichte. Auch wenn die natürlich noch einmal komplett anders funktionieren.
Was gibt es eigentlich zu Jupiter Jones und ihrem Hit Still noch zu sagen?
Die Band, bestehend seit mehr als neun Jahren hat schon eine Menge Erfahrung im Musikbusiness und weiß wohin sie will. Bis zum letzten Sommer hatten sie ihr zu Hause auf dem Independent Label Mathilda und Titus’ Tonträger. Im vergangenen Sommer – anch vier veröffentlichten Alben – kam dann der Wechsel zum Major Columbia Berlin /Sony. Offensichtlich hatten sie dort einen ganz vernünftigen Deal geschlossen bzw. sich von vornherein ein paar Details zur Vermarktung garantieren lassen. Zum Beispiel, dass sie nicht als die nächste großartige deutschsprachige Band fix verramscht werden… Stattdessen begann im Soätherbst eine eher langsame und seriöse Promotion für das kommende Album und die Lead-Single Still. Sie hatten Auftritte im TV, aber vor allem eher in Sendungen,die ich als Erwachsenenunterhaltung bezeichnen würde, so etwas wie Ina’s Nacht beispielsweise. Folgerichtig kursierten zunächst auch diese Versionen als Video bzw. Download. Am 4. März dann erschien die Single Still, eine Woche nachdem das Album Jupiter Jones veröffentlicht wurde. Auch das eine eher ungewöhnliche Entscheidung und ein Zeichen dafür, dass Band und Label von der Qualität des Songs enorm überzeugt waren. Auch, dass Jupiter Jones sich keineswegs nur als Albumact versteht.
Ganz allmählich setzte sich die Ballade als Hit durch. Vielleicht war der Weg geebnet worden durch Revolverheld & Marta Jandová, die mit Halt dich an mir fest nur wenige Monate zuvor schon ordentliche Erfolge feiern konnten. Vielleicht war es auch die Unaufdringlichkeit mit der die Band sich inszenierte. Ein paar Auftritte im TV explizit für ein jüngeres Publikum wurden eingestreut ohne den Ruf zu verderben, und das muss man erstmal schaffen: aufrecht einen Einsatz in einer Serie wie Hand aufs Herz zu absolvieren. Und schließlich interessierten sich ganz ganz langsam auch die Radiostationen für den Titel. Im Mainstream hat es deutschsprachiges ja nicht unbedingt leicht und es braucht Monate bis so ein Titel sich in den Playlists durchsetzen kann. Dann allerdings bleibt er wie angenagelt fast ewig im Programm. Sill steht gerade aktuell auf Platz 6 der Nielsen Airplay-Liste, Tendenz immernoch steigend.
Ein klein wenig schneller und eigenständiger reagierte die Gruppe der Musikkäuferinnen. Über Wochen stiegen die Umsätze, schließlich erreichten sie Mitte Juni – drei monate nach Veröffentlichung – ihren Höhepunkt und Top 10 Status in den offiziellen deutschen verkaufscharts von media control. Höhepunkt ist in diesem Fall allerdings als relativ anzusehen, denn noch immer wird der Titel gern gekauft bzw. geladen. Nach wie vor befindet sich Still unter den 20 umsatzstärksten Titeln und ein Abflauen des Interesses ist kaum zu bemerken.
Wahrscheinlich wird man zum Ende des Jahres 2011 in den Rückblicken an Jupiter Jones und Still nicht vorbei kommen. Auch wenn es eventuell nicht reicht, um erfolgreichster deutschsprachiger Song des Jahres zu werden. Da hat vermutlich Tim Bendzko noch einen Hauch die Nase vorn. Aber … Ende September geht der Bundesvision Song Contest über die Bühne und hier stehen auch Jupiter Jones auf der Bühne. Für gewöhnlich hat dieses Ereignis enorme Auswirkungen auf Verkäufe und Popularität, egal wie gut oder schlecht die Bands in der eigentlichen Show abschneiden. Hier könnte also noch einiges passieren in den nächsten Wochen. Eventuell erleben wir auch einen würdigen Nachfolger.
Dieser Tage kommt man im Mainstream-Popbusiness an einem Mann nicht vorbei: David Guetta. Für den 29. August hat er sein neues Album Nothing But The Beat angekündigt und seit Wochen läuft die Promotion-Maschine. Zwei Singles wurden im Vorfeld bereits veröffentlicht Where Them Girls At und Little Bad Girl – beide fanden reißenden Absatz, konnten sich in Deutschland als Hits durchsetzen. Seit 5. August tritt der Werbefeldzug in die Endphase. Drei (Digital-)Singles sollen in kurze Folge veröffentlicht werden, die erste Titanium am 5. August, seit 15. August gibt es auch Lunar und schließlich wird in Kürze noch Night Of Your Life folgen. Auffällig an den bisher erschienenen Tracks ist, dass sich David Guetta offensichtlich sehr sehr am Massenmarkt orientiert. Das ist alles nicht zu sehr am Dancefloor orientiert und setzt auch gern mal auf bekannte Namen wie Taio Cruz oder Flo Rida.
Im Falle der aktuellen Promotional-Veröffentlichung Titanium ist die vorgestellte Künstlerin in Kontinental-Europa fast gänzlich unbekannt: Sia Furler. Lediglich durch ein paar Soundtrack-Beiträge für Kinofilme und Serien ist sie aufgefallen. Für’s Anheizen setzt David Guetta offensichtlich darauf, dass er selbst und sein Sound überzeugend genug sind. Scheint zu funktionieren – auch oder vielleicht gerade weil der Track erstaunlich farblos bleibt. Es beginnt mit einem Gitarrenintro, welches sehr an den Beginn von Every Breath You Take von Police erinnert, in der Vergangenheit bereits mehrfach zitiert und im Popgedächtnis lebendig gehalten. Es folgt Sia Furlers Gesang, der sich mehr und mehr steigert und schließlich zum breiten Leinwandrefrain getrieben wird. Eine Formel, die in den Medien offenbar ebenso beliebt ist wie unter den Konsumenten.Und ich könnte mir vorstellen, dass hier der Effekt des immer und immer wieder Hörens tatsächlich so etwas auslöst wie ein Sich-Dran-Gewöhnen und schließlich sogar Mögen.
Die spannende Geschichte hinter Titanium ist die Tatsache, dass der Track ursprünglich mit Mary J. Blige aufgenommen wurde, in dieser Version auch kursiert, aber offensichtlich irgendeine Vereinbarung getroffen wurde, dann doch Sia als Sängerin einzusetzen. Die Gründe für diese Entscheidung sind nicht bekannt, eventuell ist es ein Zugeständnis an die doch etwas verschiedenen funktionierenden Märkte in Amerika und Europa. Mary J. Blige fühlt den Song etwas mehr mit Wärme und Soul, das könnte wenigstens in Nordamerika etwas besser ankommen. Aber das sind alles wilde Spekulationen …
Wie auch immer, mit Titanium landet David Guetta einmal mehr in der breiten Aufmerksamkeit, das Doppel-Album dürfte also mit Gewissheit einschlagen. Richtig spannend wird es aber erst mit der gerade veröffentlichten nächsten Promo-Single Lunar. Das ist nämlich der erste Track von der zweiten CD des kommenden Albums, welches nur Instrumentaltitel enthält und etwas cluborientierter daherkommt. Ob das dem breiten Publikum auch so zusagt wie der Radio- und Musikfernsehensound? In 10 Tagen wissen wir mehr – bislang ist in den iTunes Charts noch nichts von dem Track zu sehen.
Es ist natürlich das Recht einer jeden neuen Generation, die Musikgeschichte auf eigene Faust zu entdecken, Klassiker auszugraben und neu zu interpretieren. Für diejenigen, die dann schon etwas älter dabei sind, tut das manchmal ziemlich weh … aber haben sie es nicht selbst auch einstmals so getan? Die Zeiten, in denen alles noch komplett neu und einmalig war sind seit Jahrzehnten vorüber. Trotzdem ist es natürlich schwer, sich daran zu gewöhnen, denn es heißt auch, immer wieder alle Gewissheiten über Bord zu werfen und neu nach Maßstäben zu suchen.
Jason Derulo – oder Derülo bzw. Desrouleaux wie er sich gern schreibt – ist ein Star solch einer jungen Generation. Mit Autotune und breitem Ravesound ist er seit etwas mehr als eineinhalb Jahren enorm erforlgreich. Und gern bedient er sich auch mal in der Geschichte. Mit seiner neuesten Single zum Beispiel bei Robin S. und Harry Belafonte – ein Mischung, die selbst zu Hochzeiten des Pop-Geschredders noch ungewöhnlich gewesen wäre. Nun also die Variante 2011.
Es fängt an mit dem Signet-Refrain des Banana Boat Songs, bestens bekannt in der Version von Harry Belafonte aus dem Jahr 1956. Ursprünglich ein traditioneller jamaikanischer Song, wurde das Lied mehrfach aufgenommen ehe es mit der Version von Harry Belafonte ein weltweiter Hit wurde. In Deutschland setzte sich die Version für drei Monate an die Spitze der Verkaufshitparade und wurde in der Jahresauswertung Platz 2 hinter Margot Eskens’ Cindy Oh Cindy.
Während Harry Belafonte in seiner Version noch ziemlich nah an den Ursprüngen des Liedes blieb, nämlich den Bananenpflückern, die sich nach ihrer Nachtschicht auf ein Glas Rum freuen, dreht sich bei Derulo im Jahr 2011 der Inhalt komplett: hier ist es die Party, die nicht enden soll, der anbrechende Tag steht für den Heimweg, die Langeweile, vielleicht auch Einsamkeit – auf alle Fälle nicht für Spaß. Und das ist vielleicht das interessante an der derzeitigen Popmusik: beschworen wird immer wieder die Party, das Clubleben als der Ort der Verheißung und Erfüllung – sehr deutlich also das Öffentliche Leben. In real sieht das mit der öffentlichen Party ja komplett anders aus -– zumindest dürfen sich sowohl Clubbetreiber als auch Partyveranstalter immer höherer Auflagen freuen. Und Party im wirklich öffentlichen Raum – vergiss es!
Natürlich ist Jason Derulos Single alles andere als ein Protestsong – am Ende geht es auch bei ihm heim zur Privatparty. Natürlich mit mehreren willigen Frauen und einer Menge Champagner. Bereits vorher hat er schon klar gemacht „Bitch, I’m A Star“. Es sind die alten Macho-Träume, die Herr Derulo da heraufbeschwört und die von der Generation der 14–21jährigen brav nachgebetet werden. Hier sollte vermutlich die Kritik ansetzen. Allerdings ist massenkompatible Popmusik schon seit längerem alles andere als irgendwie gesellschaftskritisch. Eher biedern sich Sound und Texte ganz mächtig einem desinteressierten Partypublikum an, das nichts weiter will als ungestört konsumieren. Das ist vermutlich sogar völlig nachvollziehbar, leider aber auch ungewollt ganz enorm politisch. Und an dieser Stelle könnte dann vielleicht auch Harry Belafonte ein wenig verstört sein über die naiv-sorglose Wiederentdeckung des Banana Boat Songs.
Künstler aus Russland, die es in Deutschland zu Erfolg und Bekanntheit brachten gibt es nur wenige. Da gab es in grauen Vorzeiten Alexandra, die mit ihrer Herkunft kokettierte und sich gern als irgendwie russisch inszenieren ließ. In Wirklichkeit war da aber nicht so viel zu holen, selbst ihr Geburtsort liegt auf heute litauischem Staatsgebiet. Da gab es Dschingis Khan, die aber auch nichts weiter als eine deutsche Marketingerfindung waren. Ach ja – und da gab es vor zwei Jahren auch einen Alexander Rybak, der für Norwegen den Eurovision Song Contest gewinnen konnte und mit Fairytales dann sogar kommerziell und im Radio abräumen konnte. Allerdings auch hier – geboren in Weißrussland und seit seinem vierten Lebensjahr in der Nähe von Oslo beheimatet.Exil- oder Fake-Russen gibt es also einige im Pop-Business. Wie klingt sie aber wirklich, die Musik, die in Russland entsteht, dort erfolgreich ist und auch in nicht-russischsprachigen Gebieten Anhänger findet?
Seit 2002 steht das Mädchenduo t.A.T.u. für russischen Pop. Sie brachten es weltweit zu mindestens einem Hit namens All The Things She Said brachten. In Europa konnte knapp drei Jahre später auch All About Us nochmal punkten. Russischer Sound läßt sich allerdings auch hier nur mit großer Nachsicht attestieren – zumindest der Durchbruch der beiden Frauen gelang erst, nachdem sie Material noch einmal komplett vom Briten Trevor Horn hatten neu produzieren lassen. Aber eventuell haben sie mit ihrem Erfolg den Weg geebnet für andere Künstler aus Russland wie zum Beispiel Dima Bilan. Seit Anfang der 2000er ist er in seiner Heimat ein Superstar – für Europa reichte es 2006 fast als er zweiter beim Eurovision Song Contest wurde. Zwei Jahre später traf er dann den Geschmack, gewann mit Believe und konnte im Nachhinein die eine oder andere Single in Deutschland verkaufen. Produziert wurde der Titel damals von niemand geringerem als Timbaland.
Im Sommer 2009 tauchte dann ein Rapper in den deutschen Charts auf, der in Moskau zu Hause ist und ebenfalls in seiner Heimat Superstar-Status genoß: Timati. Unterstützt von Snoop Dogg wurde Get Your Groove On so etwas wie ein Mini-Hit. Auf seinem Album The Boss aus dem selben Jahr befanden sich weitere Collaborationen mit zum Beispiel Xzibit, Busta Rhymes oder Mario Winans. Und auch ein Titel namens Welcome To St. Tropez. Den weiblichen Refrain-Part hatte hier Blue Marine übernommen.
Anfang 2011 taucht eben jenes Welcome To St. Tropez wieder auf. Auf englisch mit Part von DirtyMoney-Girl Kalenna und im Remix des Schweizer DJ Antoine. Und dann geht es fast ununterbrochen nach oben. Der Remix wird ein Clubhit, die Digitalsingle kann sich gut verkaufen und entert Anfang April die deutschen Charts. Wenige Wochen später wird der Track auch auf CD veröffentlicht – der Track firmiert jetzt unter DJ Antoine vs Mad Mark Remix – und er verkauft sich besser und besser. Aus fensteroffenen Jugendzimmern und Autoradios kann man den Sound hören und schließlich wird er jetzt noch so etwas ähnliches wie ein inoffizieller Sommerhit. Mittlerweile ist Welcome To St. Tropez auch in den deutschen Verkaufscharts angekommen – im Moment wird Platz 6 gemeldet – und alle drei offiziell beteiligten Artists können also einen eigenen Top 10 Hit ihr eigen nennen. (Kalenna hatte ja bereits als Teil von DirtyMoney bereits Anfang des Jahres die Gelegenheit dazu.) Timati ist damit erst der zweite russische Künstler, der es überhaupt zu solchem Erfolg schafft und DJ Antoine beendet zumindest eine knapp dreijährige Abstinenz Schweizer Acts in den deutschen Top 10.
Das Thema von Welcome To St. Tropez ist „klassisch“: ein Leben mit zu viel Geld und Drogen, das beinahe schon langweilt … Angesichts der Verhältnisse, die in Russland (und auch in weiten Teilen Europas) herrschen, fast schon zynisch. Offensichtlich reicht es aber nach wie vor als Traumabziehbild, das Video mit schnellen Jachten, Poolparties und jeder Menge herumgespritztem Champagner hat da einiges zu bieten an hedonistischem Neureichenleben. Der Sound des Remix – global clubtauglich und ganz im Stil von David Guetta etc.. Ob in St. Tropez, Lausanne, auf Sylt in Rio, Tokio, New Yorkoder Moskau … das funktioniert überall. Um jetzt den „typisch“ russischen Sound zu finden, muss man vielleicht das Original mit Blue Marine bemühen. Das ist noch einen Tick süßlicher und vor allem nicht so aufgepumpt mit Bass. Ob es jetzt russischer ist, abgesehen von der Sprache, das darf jedeR für sich selbst entscheiden. Am Ende ist es vielleicht auch gar nicht relevant von wo der Sound eigentlich kommt.
Ich weiß nicht genau, wann wir den letzten Act aus Neuseeland wirklich richtig erfolgreich in Deutschland erlebt haben. Ganz genau genommen fällt mir so auf Anhieb ohnehin kein Pop-Act ein, der von dieser Insel kommt. Das heißt nicht, dass es dort nicht auch Popmusiker gäbe. Wie dem auch sei, seit etwa zwei Monaten sorgt eine Sängerin aus Neuseeland für ziemlich Furore. Klar, die Rede ist von Brooke Fraser.
Aus dem Nichts tauchte ihre Single Something In The Water auf und konnte sich sofort breit durchsetzen. Was erstmal auch überraschte, denn beim ersten Hinhören klang das doch sehr ähnlich zu dem was da zum Beispiel von Colbie Caillat oder Lisa Mitchell. Deren Titel sind allerdings weit weniger erfolgreich – zumindest was den Verkauf angeht, denn Radiostationen greifen ganz gern auf den leichten, etwas beiläufigen Sound zurück, der garantiert Unbeschwertheit, Sorglosigkeit und gute Laune symbolisiert. Was macht nun Brooke Fraser anders? Zum einen ist sie ein neuer Name, ein neues Gesicht, sozusagen ein unbeschriebenes Blatt. Das macht schon mal neugierig. Dann trifft Brooke Frasers Sound sehr genau den wachsenden Bedarf an authentischen Songs, die eben nicht überproduziert oder am Dancefloor orientiert sind.Mit Pfeifen sowie lalala-Refrain hat sie dabei genau den passenden Ausdruck gefunden. Eine Gitarre und ein naives Kleidchen mit Blumendruck oder Spitzenborten haben heute viele junge Sängerinnen zu bieten, ein wirkliches Leben dahinter schon weniger. Bei Brooke Fraser heißt dieses Leben, dieses Ich auch, sich aktiv als Katholikin zu bekennen. Normalerweise würde mir solch eine Aussage erstmal total einerlei sein, allerdings fällt mir dieses Bekenntnis zum christlichen Glauben in letzter Zeit häufiger auf. Tim Bendzko gehört da genauso dazu wie Adel Tawil oder Xavier Naidoo. Bei den Damen war es bisher eher nicht so üblich über Religion zu reden. Da ging es dann mehr um Selbstverwirklichung und vielleicht auch so etwas wie Emanzipation im Sinne von: ich kann mein Leben auch allein meistern. Nun erhält also auch hier der Bezug zu etablierten und religiösen Werten eine neue Wichtigkeit.
Vielleicht ist es Zufall, dass ausgerechnet eine Sängerin aus Neuseeland diese neue alte Wertverbundenheit breit in die Popmusik bringt. Neuseeland, die grüne Insel, die besonders auch für Natürlichkeit, Freiheit und Bodenständigkeit steht. Sinn macht es auf jeden Fall. Und mit ihrem Video bedinnt Brooke Fraser zwar nicht das Image von der grünen Insel, aber immerhin von einem doch mehr oder weniger unverfälschtem, einfachen Leben. Ein Leben irgendwo in den Bergen Neuseelands wahrscheinlich …
In einer Rezension ihres Albums Flags habe ich gelesen, dass Brooke Fraser den Folk endgültig zum neuen Pop gemacht hat. Eine Feststellung, die mich persönlich überhaupt nicht überrascht, die ich aber genau deshalb absolut zutreffend finde. Keine Verwunderung dann auch, dass Brooke Fraser von ihrem Something In The Water für den deutschsprachigen Markt extra auch eine Akustik-Version aufgenommen hat. Schöner finde ich allerdings die etwas beschwingteren Remixe mit leichtem Beat … da gibt es etliche, ein wenig Internet-Stöbern lohnt sich in jedem Fall.
Im Sommer werden ja ganz gern neue Tanzformen propagiert – häufig mit irgendeiner Art tropischem oder exotischem Link versehen, so dass das Ganze schön als Urlaubserinnerung oder –sehnsucht funktioniert. 1989 war es Lambada – gerade wiederentdeckt durch JLO, vor zwei Jahren hieß es dann Raggaton – schonmal fleißig im Mainstream propagiert durch Pitbull und nun ist es offensichtlich Kuduro, das uns hier so richtig einheizen soll. Ursprünglich in den 80ern in Angola aufgekommen wurde das Ganze vor etwa 5 Jahren wiederbelebt und ein Stück weiter entwickelt durch Projekte wie Buraka Som Sistema, die in Portugal den afrikanischen Sound mit europäischen Technobeats mixten. Immerhin erlangten sie so viel Popularität, dass sie 2008 sogar M.I.A. zur Mitwirkung an ihrem Track Sound Of Kuduro bewegen konnten. Und programmatisch wie der Name wurde der Track auch zu so etwas wie einem Aushängeschild für Kuduro.
Nochmal einen drauf legen konnten Buraka Som Sistema mit ihrer Version des Neneh Cherry Hits Buffalo Stance.
Der neue Signaltrack Danza Kuduro, der den Afro-Euro-Style jetzt so richtig mainstreamtauglich macht und sogar in den Verkaufscharts ordentlich Furora macht, nimmt die Definitionen und Ursprünge allerdings gar nicht mehr so ernst. Klar klingt es irgendwie noch nach angolanischem Sound, auf jeden Fall ist es auch elektronisch, aber eine Menge Karibik-Sound lässt sich da auch identifizieren. Das ist auch gar nicht erstaunlich, denn mit Lucenzo feat Don omar steht ein französisch-portugiesischer DJ neben einem Sänger/Musiker aus Puerto Rico. Als Schauspieler war Letzterer in Fast 5 / Fast & Furious 5 zu sehen, zu dem er dann auch gleich den Danza Kuduro beisteuerte und der damit erst zum eigentlichen Hit wurde.
So wie Danza Kuduro musikalisch alles aufnimmt und verarbeitet, so tut es auch das dazugehörige Video. Eine Reihe von Szenen (vor allem der Beginn, das Luxusboot, Partyszenen am Pool) sehen nämlich verdammt nach dem aktuellen Clip von DJ Antoine vs. Timati feat. Kalenna aus … aber egal, ist ja generell eine dämliche bis unnütze Arbeit auf Zitate und Verweise einzugehen, wo doch unsere gesamte Kultur aus Kopieren, Zitieren, Neu-Mixen etc. besteht.
Vielleicht noch der Hinweis am Ende, dass die Kuduro-Geschichte noch lange nicht zu Ende ist. Gerade hab ich auch eine Merengue-Version von Aguakate gefunden:
Und zum derzietigen Lieblingssport der Deutschen Zumba passt der Sound ja irgendwie auch. Für Moombathon à la Schlachthofbronx wird es vermutlich noch einen Sommer brauchen ...
Und wer den Originalen Kuduro erleben will, sollte am 9. / 10. September beim Berlin Festival aufpassen. Da sind nämlich Buraka Som Sistema live on stage!