Freitag, 14. November 2014

UNHEILIG: Zeit zu gehen

UNHEILIG hört auf. (Oder macht erstmal eine Pause.) Angekündigtes Ende eines Projektes. Gelegenheit mal auf die Gesamtkarriere zu schauen.

2010/11 da war Unheilig der Überflieger. Unschlagbar. Rekorde purzelten und ein komplettes Land schien dem Grafen und seinen Mannen zu Füßen zu liegen. Bis dahin war es ein recht langer Weg. Nach der Gründung 1999 ging es erstmal überschaubar zu. Kleine Konzerte, eine eingefleischte und treue Fanszene. Immerhin dann doch 2008 der erste Chartserfolg - da war die Fangemeinde also schon anständig gewachsen. Und dann kam Geboren um zu leben. In seiner Aussage wunderbar allgemeingültig, im Stil auch wesentlich eingängiger und massentauglicher, die Fans mehrheitlich genügend Geld verdienend um sich die Veröffentlichung als physisches Produkt zuzulegen und zumindest in der Frühzeit des Erfolges auch mit dem einen und anderen prominenten TV-Einsatz ... schwups entdeckte Deutschland seine romantisch-verklärte Seite.

Dass sich das Ganze innerhalb von zwei Jahren bis zur ungebrochenen Euphorie steigern würde, wer hätte das erwartet? Hat sich um 2010 also in der deutschen Gesellschaft so etwas wie eine große Resignation und Trauer auf hohem Niveau den Weg gebahnt. Durchaus auch mit der verklärten Sehnsucht nach einem, der einen schützt und leitet. Ich behaupte an dieser Stelle mal, dass Unheilig mit den Weg geebnet hat für Bands wie Haudegen oder Frei.Wild. Und die haben ja schon gar kein Problem mehr mit Deutschtümelei, Führersehnsucht und Nationalstolz.

Das ist bei Unheilig nicht ganz so. Politisch hielt sich der Graf mehrheitlich zurück – auch das ja nicht unbedingt eine unbekannte Haltung in Deutschland. Unheilig hatte sich mehr mit der Schwarzen Gothic-Darkwave-Szene auseinander zu setzen. Mit dem Erfolg (und der stärkeren Pop-Orientierung) kam nämlich auch Kritik an seinem Stil auf. Und die ganz Eisernen fanden, der Graf verkaufe sich jetzt ... Spätestens mit der Winter-Edition seines Albums Große Freiheit Anfang 2011 ließ sich dieser Vorwurf des kommerziellen Ausschlachtens nicht mehr so ganz einfach aus der Welt räumen.

Wie dem auch sei, das Abwenden der Basis machte sich in den letzten zwei-drei Jahren dann auch bemerkbar im etwas schwindenden Erfolg. Deutlichstes Zeichen vermutlich das diesjährige Scheitern beim Eurovision-Vorentscheid. Da war die große Gesellschafts-Depression mehrheitlich doch schon verflogen und es herrschte die Lust am multikulturellen Gute-Laune-Gefühl. Was für Unheilig aber keineswegs den totalen Absturz bedeutete.

Immerhin, Unheilig ist nach zwei unglaublich erfolgreichen Jahren in den Statistiken der 2010er tatsächlich immer noch die Nummer 2. Lediglich der junge Rapper CRO mit seiner Lebens- und Liebeslust hat dem Grafen alle Lorbeeren weggeschnappt: Die meisten Hits seit 2010, die höheren Platzierungen, die meisten Wochen in den Charts ... Einzig und allein der Hit Geboren um zu leben schafft die Bestmarke: "am längsten ohne Unterbrechung in den Charts platziert seit 2010" und "längste ununterbrochene Chartkarriere eines deutschsprachigen Titels aller Zeiten". Das ist schon eine ganz schön spezielle Nische, die der Graf da für sich vereinnahmt. Nischendasein dürfte für den Künstler allerdings nicht das große Problem sein.

Nun also will sich Unheilig/Der Graf mehr seiner Familie widmen. Und veröffentlicht vor seiner Abschiedstour einen Goodbye-Titel Zeit zu gehen. Der spart natürlich nicht an Pathos: Violinen, fulminante Produktion und ein Refrain, der sehr gut mitsingbar ist. Abschied von allen und allem.

Textlich überrascht der Graf, denn er traut sich (erstmals ?) konkret und deutlich zu werden. Es sind nicht mehr nur die unbestimmten Allgemeinplätze, die angedeuteten Geschichten, die jedem widerfahren können und die schwierig zu fassenden Gefühle – er singt von einem WIR. Und er sagt mit diesem WIR Danke. Eine sehr schöne und sehr ehrliche Geste. Und einer der ganz wenigen Momente, in denen Unheilig nicht zurück schaut sondern der Zukunft ins Gesicht sieht. Das ist für mich der überraschendste und beachtenswerteste Moment an der neuen Single.

Natürlich kann ein Graf nicht aus seiner Haut. Und so sind auch im Video vor allem die großen und inszenierten Momente aneinander gereiht. Mir hätte mehr gefallen, wenn dort tatsächlich in Mehrheit das auftauchen würde, wovon er so gerne singt: Die kleinen Momente und Gesten, die Nähe und Verbundenheit der Menschen. Zwischen Frontmann und Band, zwischen Bühnenarbeiter und Musiker, zwischen Star und Fan. Davon gibt es nur ein paar vereinzelte Impressionen. Es scheint ein bisschen so, als wäre dies der Grund für das permanente romantische Leiden des Grafen: Er kann im Nachhinein gut beschreiben, dass es nicht so gelaufen ist, wie es sollte. Er kann bedauern. Im Jetzt und Heute kriegt er es aber nicht hin, es besser zu machen. Da steht ihm vermutlich auch seine eigene Inszenierung im Weg.

Ich bin gespannt, ob wir dem Grafen in fünf, sechs oder sieben Jahren bei einem Comeback wieder begegnen können. Oder ob er künstlerisch nochmal was ganz anderes versucht. Vielleicht hört er auch auf seine eigenen Texte und widmet sich eher seinen Lieben und seinem Leben, statt permanent den Welterklärer zu spielen. Ich vermute, mir wird er nicht besonders fehlen.

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