Freitag, 25. Oktober 2019

Apache 207:
Wieso tust du dir das an?

Es ist spannend zu sehen, wie sich auch die Stars im RapBusiness ganz normal die Klinke in die Hand geben und die wirklich heißen Acts irgendwann auch mal etwas weniger strahlend leuchten. War es vor gut drei Jahren die 187 Strassenbande und dann im Nachgang vor allem RAF Camora, der die Top-Position der Charts vereinnahmte, ging dieses Privileg spätestens im Frühsommer 2018 an Capital Bra über - ganz kurz unterbrochen von MERO - und nun ist es offenbar Apache 207, der auf die Nr. 1 abonniert zu sein scheint. Die anderen gibt es natürlich immer noch, auch erfolgreich und durchaus nah an der Spitze (zumindest der RAF und der Bra), und doch lässt sich eine gewisse Abkühlung feststellen. Der ganz große Hype ist vorbei. Und diese Gier, unbedingt als eine der ersten den neuen Track zu genießen, die findet mittlerweile seltener statt.

Mit dem Wechsel der Protagonisten ist auch eine Änderung im Sound zu beobachten. RAF, der nach wie vor den brutalen Straßensound mit Knarre und Kriminalität feiert, wurde enttrohnt von Bra, der immer noch ganz schön auf böser und unerzogener Junge macht, aber schon viel verpeilter umhergeister. Der kann zwar auch noch ganz schön viel Schaden anrichten und einem vielleicht sogar gefährlich werden, aber so richtig der Angstmacher ist er nicht. Eher der niedliche Verpeilte aus dem Nachbarhaus. Bra gibt den Stab nun einem, der zwar auch seine Ghetto-Wurzeln zelebriert, aber dennoch fast schon als Schwiegersohn präsentierbar ist. Und trotzdem reichlich neben der Durchschnittsnormalität agiert. Die Tendenz geht also deutlich in Richtung brav.

Wieso tust du dir das an? ist Apaches zweiter Nr.1-Hit. Produziert von Miksu & Macloud setzt der Rapper auf ein etabliertes Erfolgsduo und liefert trotzdem einen Song, der zwischen Was Du Liebe nennst und Kuschelrock entlangsegelt. Ziemlich lauschig tuckert der Beat - das könnte ganz gut auch im Mallorca-Lounge-Café laufen. Oder wenigstens auf den unerträglichen Autoradio-Servicewellen.

Trotzdem ist der Track eine ziemlich ungeschminkte Analyse eines enorm verqueren Lebens. Die Frau, die sich aus Liebe, Hoffnung oder warum auch immer nicht traut, ihr Leben in die Hand zu nehmen und einen eigenen Weg zu gehen. Einfach den Alten verlassen und sich selbst mehr wertschätzen. Das aus dem Munde eines Rappers, der Zeichen seiner Zunft eigentlich auf der anderen Seite stehen müsste. Nicht der schlechteste Move.

Apache 207 zeigt, dass man trotz nicht ganz so einfacher sozialer Verhältnisse kein Arschloch werden muss. Er hat erkannt, dass es auch ohne Geld und Blingbling darum gehen kann, andere Menschen mit Respekt zu behandeln. Da hat er vielen seiner Kollegen nicht nur das Abitur voraus. Bei ihm heißt es weniger: Meine Knarre ist dicker als deine und deshalb bin ich KingBossGott. Er sagt: Scheiße, kannst du nicht erkennen, dass ich ein Arschloch bin? Gewöhn dir endlich mal bisschen Selbstachtung an!
Und das ist richtig fortschrittlich. Nicht nur im Pop-Business.



Das Video: Nun ja. Die Apache-Gang in ihrer Coolness den Goldweinenden schönen Frauen gegenüber zu stellen - das find ich hat schon was. Das tanzende Paar ist mir dann aber doch zu sehr Camilla Cabello. Und warum es so ein Barocktheater al Location sein muss? Das biedere Leben als offensichtliche Inszenierung? Nicht mal schön - einfach nur einengend? Nun ja.

Da gefällt mir die Theaterbühne als Schauplatz wesentlich besser. Apache als das Bühnenschwein - angehimmelt und vergöttert. Das hat in dem seltsamen Setting tatsächlich was Ironisches. Zumal in Kombination mit dem Text.

Freitag, 18. Oktober 2019

RAF CAMORA Feat. Ghetto Phénomène:
Puta Madre



In Marseille stehen die Massen auf der Straße: schwarz gekleidet, männlich, testosteronstrotzend und grimmig und mit Leuchtraketen. Das ist die Welt von RAF CAMORA. Fußballstadion-Romantik, die das Recht des Stärkeren feiert. Oder auch der Masse. Hier geht's nicht um Individualität. Hier geht es um Gleichförmigkeit. "Komm mit Armee" - alle hören aufs Kommando. Gleichschaltung total. Gehirn aus.

Und einmal mehr frage ich mich: Warum gefällt den Massen dieser brutale Darwin-Hitler-Scheiß: nur der Härteste setzt sich durch und darf sich fortpflanzen? Sind die heutigen Musikkonsumenten so unfähig, unten, vergessen, Looser, dass sie sich wünschten, es wäre anders? Sie gehörten zur herrschenden Klasse?
Und auch das: Können alle nur noch feiern, wenn es anderen gleichzeitig dreckig geht? Glück ist nur, wenn sich andere dafür die Knochen gebrochen haben? Mit mir selbst hat das nichts zu tun - einfach nur hacken nach unten bis das Blut spritzt.

Wie Scheiße ist das alles eigentlich?

Und ich merke, wie ich mehr und mehr allergisch werde auf diese ganze dümmlich nachgeplapperte Ideologie von Herrscherrasse und Alphatieren. Ich sehe die ausgelassen feiernden Hools und denk mir: Schön, habt Ihr in eurem Ghetto viel Spaß. Wie lange eigentlich noch? Wenn die letzten Wesen niedriger Art zertreten sind, wohin geht ihr dann mit eurer miesen Laune? Selbstzerfleischung, so wie es die Mehrheit der Herren-Ideologie-Vereine immer wieder und wieder zelebrieren?

Da nutzt dann auch kein debil-infantiles Ausrasten mehr. Dann ist die Party einfach aus. Bis dahin: Feiert, was das Zeug hält. Der nächste Scheißtag ist schon fast da.



Natürlich krieg ich mich auch wieder ganz schnell ein mit meinem Gezeter. Erreicht ja niemanden. Denn es gehört zum guten Ton im Rap-Biz, dass man ordentlich posiert. Und möglichst noch krasser drauf ist. Alles Show - alles Blingbling. Unerreichbar für jede Art von Kritik.

Also Kopf aus und einfach den Sound richtig laut zulassen.

Funktioniert. Denn natürlich hat sich RAF bei Puta Madre wieder einen schönen Pop-Hookline-Beat drunter bauen lassen. Das erinnert so ein bisschen an 90er Jahre Nach-Techno-Hits im Mainstream. Die wollte keiner hören - abgefeiert wurden sie von den armen Würstchen dieser Welt trotzdem. RAF sortiert sich in diese Reihe schön ein - unvorstellbar erfolgreich - in spätestens fünf Jahren vergessen - und auf Oldie-Discos in 20 Jahren selbst dem DJ peinlich.

Aber nochmal: es ist nicht nötig, dass jeder Track für die Ewigkeit ist. Reicht, wenn es im Jetzt funktioniert. Und das tut es. Vor allem, weil kein Mensch den Text wirklich versteht - so lässt sich also ziemlich gut auf dem Dr. Alban-Sound abfeiern. In Endlos-Wiederholung. Und sogar abseits jener Mackerwelt, in die sich Raf Camora hineinkatapultiert hat. Könnte sein, dass Puta Madre dann doch auf irgendwelchen PlayLists "Das beste aus den 2010ern" drauf ist. Gratulation!



Freitag, 11. Oktober 2019

Samra Capital Bra:
Berlin lebt wie nie zuvor

Deutschland erstarrt aufgrund eines Terroranschlags und Capital Bra x Samra liefern den Soundtrack dazu: Laut, dunkel, aggressiv. Pechschwarze Herzen, "ich geh über Leichen", der Cop am Boden, "zwei Schüsse fall'n, durch die Decke kommen rote tropfen", "Ich schieße in dein Kopf durch die Gardine" ... das sind so die Versatzstücke, die auch mitgeteilt werden.

Wird ja grad viel darüber diskutiert, wie online-Games Menschen unmerklich beeinflussen. Horst Seehofer stellt mal gleich die komplette Gamer-Szene unter Verdacht und will sie beobachten lassen. Sind die Pop-Rapper dann die nächsten?

Tatsächlich sind die Gewalt-Exzesse oder besser deren Andeutungen, reichlich unnötig. Warum nochmal ist es Bra wichtig so ungemein gewalttätig rüberzukommen? So erbarmungslos? Macht das einen Popstar cool? Gibt es nichts anderes, womit er punkten kann? Ist er nur was mit Knarre?

Es ist vergebens mit Bra darüber ins Gespräch kommen zu wollen. Gangster-Rap funktioniert nunmal so. Und als Junge aus dem Ghetto muss man diese Sprache sprechen. Muss man Stereotype weitergeben. Denn die potenziellen Fans sind ja genauso drauf und verstehen keine andere Sprache .... ähm, wer waren nochmal die 14- bis 25-jährigen, die auf der Tour von Bra ausrasten? Wurden die nicht alle von papa draußen abgeholt?

Bra bedient also die Träume der bürgerlichen Biederkeit-Jugend. Was sie zu Hause und in der Schule nicht dürfen, nicht können, das spielt er ihnen vor. Stellvertretend lebt er den Traum vom regellosen Sein, vom Recht des Stärkeren, von der ungebändigten Diktatur der Gewalt.

Erzählt schon eine Menge, wenn junge Menschen auf so etwas abfahren. Auch wenn es ironisch ist, nicht ernst gemeint, mit Abstand, als Pseudo-Erleben ... Wenns dann auch noch so hochglanztechnisch inszeniert ist wie bei Berlin lebt wie nie zuvor, da kann man schonmal Lust haben irgendeinem den Kopf wegzuknallen...



Freitag, 4. Oktober 2019

Apache 207: 200 km/h

Die Songs von Apache, die nicht auf der 1 landen, sind einfach besser. Siehe 200 km/h.
Wahrscheinlich, weil das alles gar kein richtiger Rap mehr ist, sondern mindestens Pop. Mit ein bisschen HipHop-Beat drunter.

So ist auch 200 km/h schön eingängig. Kann man schnell mitsingen. - Und erzählt doch die Geschichten, die sich Rap-Helden so erzählen. Ein bisschen anders allerdings. Nicht ganz so protzig. Obwohl es auch hier darum geht, was man sich jetzt alles so leisten kann.

Gebrochen wird das Ganze von einer gewissen Ungläubigkeit. Der Typ mit der schrägen Vergangenheit, der nicht nur Positives auf seinem Konto hat, soll jetzt plötzlich cool sein? UNd den Durchblick hat er auch nicht richtig? Woran liegt's?

Die Antwort bei Apache: Ich lebe im Jetzt, genieße das Leben, und schaue immer durch die Rosa Brille. Übersetzt: wenn es Dir selbst gut geht, dann finden auch die andern dich schwer in Ordnung.

Geht natürlich nicht immer auf. So mancher der großen Rapper liebt sich ein bisschen zu sehr - und dann hängen eben auch nur die mit einem rum, die auf oberflächliches Blingbling stehen. Apache macht das schon ein bisschen anders. Sein Hotel ist nicht das 5-Sterne-Luxusding. Das ist die Absteige in Ludwigshafen. Seine Klamotten sind ausgewählt - aber eben nicht nur mit Logos übersät. Und eigentlich auch ganz schön hässlich. Da er es aber mit absoluter Überzeugung trägt, finde ich den 80er Jahre Look plötzlich doch wieder machbar.

Und tatsächlich ist das Unperfekte das wirklich Reizvolle. Der Gesang ist ja besonders in den hohen Lagen nicht unbedingt das, was Gesangslehrer oder Popstar-Juroren jetzt klasse finden würden. Dafür ist da jede Menge Inbrunst drin. Danke dafür!