Samstag, 23. Mai 2015

Severino: Hero Of My Heart

Der deutsche Superstar Nr.12 erleidet wesentlich mehr als seine Vorgänger*innen das Schicksal, dass über IHN berichtet wird, statt über seine sängerischen Qualitäten. Allerdings hat er sich das mehr als alle anderen auch selbst zuzuschreiben. Bereits im Februar wurde bekannt, dass er wegen des Verdachts von bandenmäßigem Betrug mit einem Gerichtsverfahren rechnen dürfte. Das Ganze wurde für die Zeit der Show etwas heruntergespielt, verschoben, nicht weiter kommentiert – gerade so viel, dass es für ein wenig Aufmerksamkeit sorgte, aber nicht den Ruf des DSDS-Kandidaten völlig ruinierte. So nett ist man dann doch im Rechtssystem Deutschland.

Kaum aber war der Sieg durch, da brandete die Meldung doch noch einmal richtig groß durch alle Medien: Severino Seeger muss sich verantworten 19.000 EUR von Seniorinnen per Betrug erschlichen zu haben. (In anderen Veröffentlichungen ist die Rede von gleich 100.000 EUR - ob man das glauben darf...) Am 2. Juni 2015 steht die Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt an.

Zwar entschuldigte sich der neue Popstar in der BILD-Zeitung vor wenigen Tagen und will jeden Cent zurückzahlen, aber da ist es nun doch schon zu spät. Die Erbosung auf Facebook ist groß, RTL und Dieter Bohlen distanzieren sich und erwägen sogar, ihm den Superstar-Titel abzuerkennen (wen soll das eigentlich stören?) und damit rasen auch die Verkäufe in den Keller und seine Single Hero Of My Heart schafft es zwar gerade noch so in die Top10 der Verkaufscharts, befindet sich eine Woche nach der Show aber bereits schon fast nicht mehr in der Top100 Verkaufsübersicht.

Da hat sich die wochenlange Mühe und Arbeit für Severino alles andere als gelohnt. Aus der Superstar-Karriere, die ja ohnehin nicht so andauernd ausfällt, wird nun wohl rein gar nichts. Das hat er sich garantiert anders gedacht. Wir können jetzt Wetten abgeben, wie lang es wohl dauern wird, bis dem Sänger ein neuer Weg einfällt, an Geld heranzukommen. Und ob der 100% legal sein wird?

Interessant an diesem Vorfall ist vor allem, dass Bushido und Co. ja auch ganz gern die bösen Jungs raushängen lassen, sogar in Konflikt mit Recht und Gesetz geraten, und trotzdem immer noch ordentlich ihre Musik verkaufen. Da gibt es also einen ordentlichen Unterschied im Empfinden von Gerechtigkeit bei den kleinen 14jährigen, die sich gern DSDS reinziehen und denen, die dem Popcasting-Alter entwachsen sind (deshalb nicht unbedingt sehr viel schlauer geworden sind) und für die definitiv alle weithin etablierten Werte nichts mehr gelten. Da hat sich Severino jetzt einfach die falsche Zielgruppe ausgesucht. Hätte er irgendwie auch vorher wissen können, oder?

Nun ist es natürlich ganz einfach, einem überführten Straftäter medial noch eins drüber zu geben. Und die Meute im Internet erbost sich ja nur zu gerne über Dinge, die eh schon geklärt sind. Spannender wäre es vielleicht zu untersuchen, warum so ein Mensch wie Severino Seeger erstmal keine so großen Bedenken hat, auch betrügerische Aktivitäten zum Gelderwerb zu nutzen. Und da sind wir dann sehr schnell bei der sozialen Stellung, die dieser Mensch in unserer Gesellschaft hat. Als Sohn eines Italieners und einer deutschen Sinti dürfte seine Jugend nicht ohne Diskriminierung, Vorurteile und auch Chancenungleichheit abgelaufen sein. Die Berufe, die er ausübt gehören eher nicht zu denen, die man so landläufig als existenzsichernd beschreiben würde. Vom Tellerwäscher zum Millionär geht's dann in Deutschland doch eher nicht. Und den Mindestlohn gibt es ja auch noch nicht so lange...
Keine Kohle, drumherum aber eine Menge Menschen, die die Scheine nur so zum Fenster rauswerfen – da kann man schonmal auf krumme Ideen kommen. Zumal das im Fernsehen manchmal ja auch wirklich gut ausgeht.

Das alles soll nicht entschuldigen, was der Mann getan hat. Eine allgemein gesellschaftliche Benachteiligung als Billigung zu nehmen für die Weitergabe des Unrechts an Schwächere (wenn auch vielleicht Reichere), ist mindestens genauso blöd wie das, was man da eigentlich anprangert. So haben schon einige Gesellschaften funktioniert mit gruseligsten Folgen – am Ende war es dann immer keiner gewesen. Mitgemacht haben trotzdem alle.

Ob Severino Seeger so etwas verstehen kann? Dass es eben doch immer auch auf die eigene Entscheidung ankommt, dass es nicht reicht, einfach nur mitzumachen und sich auf Gruppenzwang, Notsituation oder auch Unwissenheit rauszureden. In Sachen Superstar hat er jetzt eventuell schon mal eines gelernt: Sich für Freunde im Scheinwerferlicht zu entscheiden, bedeutet nicht allzu viel. Sobald sich der Wind dreht, bist du wieder allein. Und alles was vorher gemeinsam möglich schien, ist dann nur noch Rauch und Asche. Jetzt muss er sich wieder allein und selbst durchschlagen.

Von der Furcht vor so einer Situation erzählt ein bisschen auch Hero Of My Heart. Da singt Severino von der Angst, verlassen zu werden, allein zu sein – alles was er sich wünscht ist, dass die Angebetete bei im bleibt, immer und ewig. Nur nicht wieder zurück in diesen Zustand, als man niemanden hatte. Ein schöner Märchenwunsch. Der wie immer bei solchen Träumen nur wenig mit der Realität zu tun hat.

Aber das ist es ja, was eine Scripted-Casting-Reality ausmacht: Möglichst unwirkliche Träume bedienen, vielleicht sogar so zu tun, als seien sie erfüllbar und das zumeist aus sozial benachteiligten Schichten stammende Publikum damit einzulullen oder zu verwirren. Komm zu uns, wir sind eine Familie, wir sorgen uns um dich, wir finden deine Stärken...

Mit Severino Seeger zeigt DSDS ziemlich ungeschminkt, dass das Ganze multisozialkulturelle Gehabe alles andere als eine schöne Vision von Gemeinsamkeit ist. Die Show wiederholt nichts anderes als die eh schon schwierige, gesellschaftliche Realität. Dieter Bohlen ist so beliebt, weil er Menschen eben auch gnadenlos fertig machen kann – da geht es dann nicht mehr um: Jeder kann etwas aus sich machen. Da geht es um: Der Härteste überlebt. Und: Wir wollen Spaß um jeden Preis.

Severino Seeger als Gewinner hier zu sehen ist also eigentlich keine Überraschung. Er hat schon immer das gelebt, was auch hier von ihm vor laufenden Kameras permanent verlangt wird und bei dem die anderen genauso mitspielen. Statt auf Pietro-Lombardi-Sarah-Engels-Seifenoper zu machen, zeigt er wie es tatsächlich zugeht. Alles andere als fair. Aber das will bei DSDS keiner sehen.

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