Freitag, 15. März 2013

Passenger: Let Her Go



Jetzt muss ich mich also wirklich noch mit Anti-Neo-Folk beschäftigen. Naja – fast. Denn so richtig Folk ist das, was Passenger da macht nicht. Eher ist er ein ganz typischer Singer-Songwriter. Für mich, der all diesem Ehrliche-Musiker-Getue erstmal sehr skeptisch gegenüber steht, ein gefährliches Gebiet. Dabei ist der Song an sich gar nicht unbedingt schlecht. Schlimm ist nur, wenn er so zum Grundsatz und Über-Prinzip wird. Und irgendwie hat Let Her Go leider was davon. Das sind so viele, allgemeine Plätze, die da im Text zitiert werden, da bin ich im ersten Moment natürlich voll dabei und denke: “Wie wahr, wie wahr. Gut, dass das mal jemand ausspricht.” – Aber dann fällt mir auch gleich meine Großmutter ein, die genau so Zeug auch immer sagte: “Nur bei Regen fehlt uns die Sonne.” – Und das konnte ich schon damals nicht leiden. Weil es mir in einem Satz die ganze Welt erklärt und nichts anderes mehr übrig lässt. Jedes Gefühl ist da sofort weggefegt und unmöglich, weil ja alles so ist wie es sein muss und sowieso wieder vergeht und warum bist du auch so dumm, du kannst die Welt nicht ändern.

Bei Passenger nun, da ist es vielleicht ein bisschen anders. Da ist erstmal ganz viel Gefühl drin. Und er leidet ziemlich daran, dass er die Liebe zu ihr nur richtig erfahren kann, wenn er sie gehen lässt und damit ja nicht mehr bei sich hat. Schwierige Situation. Und auch reichlich dämlich: was ist denn das für ein Glück, dass man erst dann erkennt, wenn es nicht mehr da ist? – Das kann ja nur jemandem passieren, der entweder noch gar keine Erfahrung hat – also vielleicht 14- oder 16-Jährigen. Woher sollen die aus ihrem kurzen Leben auch wissen, was jetzt Liebe ist und wie sich das anfühlt. Komischerweise ist es aber grad in dem Alter allermeistens genau umgekehrt: da ist völlig klar, dass es sich hier um etwas Besonderes handelt. Und alles ist aufregend und wild. Und wenn’s dann vorbei ist – was ja auch recht häufig und vielleicht auch ein bisschen zu schnell passiert – dann ist das schmerzvoll, da fehlt etwas, aber es bringt meist nicht die Erkenntnis: Ups, ich war ja glücklich.

Ein Mittzwanziger, der nicht merkt, dass er mit der Freundin an seiner Seite gerade eine ordentlich schöne Zeit verbringt, der kommt mir irgendwie seltsam vor. Ist ihm das einfach so passiert mit dieser Frau? Oder nimmt er alles vielleicht nicht so richtig ernst, was er da macht? Alles nur Spielerei und Quatsch – und dann ist sie plötzlich weg und er merkt: Aua, das war doch mehr, was da lief. – Das wäre die Variante “verwöhntes Wohlstandskind”. Oder “Gefühlskrüppel”.

Immerhin - in der Geschichte von Let Her Go, da gibt es zumindest diesen Punkt, indem festgestellt wird, dass da irgendwas grundsätzlich schief lief. So verkehrt kann es also mit dem Menschen nicht sein. Spannend sind an dieser Stelle die Konsequenzen, die sich aus der Erfahrung ergeben. – Da kommt bei Passenger allerdings nicht viel. Da ist breites Baden im Gefühl, da beginnt ja sogar ein Backgroundchor, der mich einlullt. Trennungsschmerz verpackt in eine seichte Unterhaltungsoper. – OK, den Schmerz anständig auskosten ist auch in Ordnung. Solche Momente gibt es ja in jedem Leben immer wieder. Das heißt ja auch, seine Gefühle auszuleben. Heißt, menschlich zu sein.

Ist also Let Her Go die Hymne auf’s Leben? – Ehrlich gesagt wage ich das zu bezweifeln. Der Text macht zu sehr klar, dass sich alles immer immer wiederholen wird: “Everything you touch surely dies – Love comes slow and it goes so fast” – das klingt doch enorm nach Verzweiflung und Depression. Und es klingt nach Aufgeben. Nichts nichts nichts kann auf dieser Welt den Lauf der Dinge ändern. Bedeutet auch: wir sind nicht fähig zu lernen und wir sind nicht fähig Dinge selbst zu bestimmen. - Als philosophisches Denkgebäude ist das vielleicht eine spannende Vorgabe. Als Lebensprinzip aber … grrrrrr – da gruselt’s mich ordentlich. Mit solch einer Einstellung ist klar, dass am Ende so eine Aussage wie “You loved her too much and you dived too deep.” bedeutet: pass’ beim nächsten mal bloß besser auf und lass dich nicht wieder ein, bleib unverbindlich, und nur nicht aktiv werden, stumpfe ab!

Oh oh – an dieser Stelle kann ich nur noch die Hedonisten dieser Welt herbeirufen und fordern: Genau umgekehrt – es gibt kein “zu sehr” und “zu tief”. Schmeiß dich rein in’s Leben. Lass dich von Gefühlen und von Menschen überwältigen. Und leide auch, wenn etwas zu Ende geht oder kaputt ist. Du darfst dann auch schreien, jammern und heulen – du weißt ja warum. Aber versuch nie, solche Erfahrungen zu vermeiden. Sonst kannste gleich zum Vorstadtreihenhauszombie werden.










4 Kommentare:

  1. Was du schreibst ist ganz einfach Schwachsinn! Der Song ist sehr gefühlvoll und wenn man die nicht hat versteht man ihn auch nicht. So wie DU!

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  2. danke für deinen kommentar. anonymes schreiben ist allerdings nicht so förderlich für einen austausch.

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  3. meine mom ist letze woche an krebs gestorben und dieses lied hat mir sehr dabei geholfen sie gehnen zu lassen und ihr nicht nachzutrauern weil sie nur noch schmerzen hatte.

    und jetzt erst weis ich wie schón der letzte tag mit ihr gemainsam war seit dem sie nicht mehr da ist und so verbinde ich dieses wunderschöne lied mit meiner geliebten mutter

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  4. lieber peter - vielen dank für deinen kommentar. eine traurige geschichte - und auch eine schöne: musik die trost / zuversicht / hoffnung spendet ist großartig.
    zugegebenermaßen habe ich einen solchen von dir beschriebenen aspekt nicht in betracht gezogen als ich mich über das lied hermachte.
    danke für diese andere sichtweise.

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