Samstag, 12. April 2014

Jan Delay: St. Pauli


Es ist doch schon eine ganze Weile her, dass Jan Delay so einen richtigen Hit hatte. Also einen, der ständig im Radio lief, der einen wochen- oder monatelang irgendwie begleitete und mit dem eine Menge Leute etwas anfangen konnten. Ich würde sagen, Oh Johnny im Sommer 2009 war so ein Hit. Und nun ist als zweite Vorankündigung zu Jan Delays Rock-Album Hammer und Michel die Single St. Pauli erschienen. Den ersten Reaktionen und Verkaufszahlen zufolge können sich nahezu alle darauf einigen und finden den Song großartig. Warum eigentlich?

Klar, wenn man die Geilheit von St. Pauli besingt, dann kann das gar nicht schief gehen. Seit wieviel Jahrzehnten ist dieser Stadtteil und seine Vergnügungsmeile der Sehnsuchtsort des sich irgendwie freier, unangepasster und jung gebliebener definierenden Independent-Mainstreams? Selbst die ganz alten, angekommenen und teils sogar peinlichen Alt-Rocker zelebrieren immer noch ganz gern ihr unbändiges Leben, indem sie eine Hymne auf St. Pauli anstimmen.

Nach fast 20 Jahren Musikbusiness scheint Jan Delay auf dem besten Wege zu sein auch so ein Popkultur-Monument zu werden, das es sich verbietet alt zu werden oder sich zumindest gern so inszeniert als würde Alter nichts bedeuten. Oder warum muss es jetzt ausgerechnet ein Rock-Album sein?

Beim Hören von St. Pauli geht es ja dann doch auch ordentlich funky zu. Bläsersätze dürfen genauso sein, wie der Gesang auch weiterhin noch nasal-vernuschelt eher Soul als dreckiger Rock ist. Das ist vielleicht sogar ganz gut so. Aber warum es dann doch ausgerechnet E-Gitarren als Hauptinstrument sein müssen ... ?

Eventuell würde diese Kombination sogar ganz gut funktionieren, wenn das Ganze dann nicht doch ordentlich kantenfrei und glatt produziert wäre. Passt natürlich wesentlich besser zur inszenierten Video-Geschichte, die - warum auch immer - eine Startrek/Deep Space 9-Adaption ist. Allerlei skurrile und gestrandete Gestalten, die meisten davon schon ordentlich vom Leben gezeichnet (ach ja: Rock), treiben sich "Im Blauen Loch" herum, hängen ab oder lassen sich vollaufen. Natürlich gibt es da auch mal ordentlich Stress – der aber dank Antigravitations-Schalter schnell behoben werden kann.



Das also ist St. Pauli: ein Ort irgendwo im Nichts, auf dem nur die völlig Fertigen landen, voll mit kruden Gestalten, begierig nach Spaß. Böse könnte ich das Ganze auch eine eigensinnige Freak-Show nennen: Aussteiger, Außenseiter, Typen, die sich gern als individuell verkleiden, aber doch in ihrer Szene eher Normcore sind - und die an ihrem kleinen Paradies festhalten. Wer will schon nach Hause gehen, wo doch nur die schwarze und eiskalte Leere draußen wartet? Irgendwie fühlt sich das Ganze auch ordentlich nostalgisch an. Einfach ignorieren was draußen vor sich geht, so lange es noch im kleinen Kosmos funktioniert ist alles gut.

Nun muss ich natürlich an dieser Stelle nicht allzu streng sein. Denn all das lässt sich auch auf St. Pauli in Realität sagen. So wie es auf nahezu jede Vergnügungseinrichtung zutrifft. Oder was feiern wir eigentlich im Club? Und was soll dort auf gar keinen Fall stattfinden? Unsere Türsteher sorgen schon dafür, dass Stresspotenzial außen vor bleibt.

St. Pauli ist also die Hymne auf die kleinen abgegrenzten Biotope und sozialen Laboratorien in unserer Gesellschaft. Mit Referenz auf die Tradition der Hamburger Szene funktioniert das sofort. Jeder versteht's und stimmt ein in den Gesang. Schon finden sich Dutzende Cover-Versionen im Netz. Beim Vergleich wird dann auch schnell deutlich, wo die Schwächen in der nett-lustigen Version von Jan Delay liegen. Wenn nämlich Rantanplan St. Pauli abfeiern, dann geht das ganz anders zur Sache: ungehobelter, direkter und wesentlich ungeschminkter. Die Jungs haben nicht nur einfach Spaß, sie feiern auch so, wie man heute eben feiert. St. Pauli ist nämlich alles andere als alt(modisch). Ständig erfindet es sich neu. Das ist vielleicht für die seit Jahrzehnten dort lebenden Überlebenskünstler nicht immer ganz einfach. Aber es hält eben auch jung. Weshalb St. Pauli dann auch so eine Hymne verdient hat. Ganz ohne Nostalgie.

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