Freitag, 4. April 2014

Cris Cab: Liar Liar


Ich hasse Reggae. Dieses immer irgendwie selbstbemitleidende Jammern auf Happy-Sunshine-Sound transportiert für mich vor allem ein Gefühl der frühen 80er. Als die westliche Popwelt mehr und mehr entdeckte, dass es ja auch in anderen Regionen Musik gibt. Sogar mit ganz eigenen stilistischen Gesetzen. Das war irgendwie aufregend. Und wenn dann noch hier und da ein Funken andere Weltsicht mit ins Spiel kam, war es sogar bereichernd.

Etwa ein Jahrzehnt später wurde der Sound aus Jamaica dann ganz gern benutzt, um mir coole Kifferfaulheit schmackhaft zu machen. Meist mit einem gewissen Lustigkeitsfaktor. Das war schon nicht mehr mein Ding. Vielleicht weil Hanf nicht meine Droge ist und ich deshalb das Lebensgefühl auf Dope nicht nachvollziehen kann. Vielleicht auch, weil wie auf einer Menge Drogen das, was da passiert und entsteht doch auch in den allermeisten Fällen lediglich unterirdisches Niveau hat.

Dann gab (und gibt) es im Reggae ja auch eine ganze Menge Künstler, die nicht nur selten hirnloses Zeug in ihre Texte packen, sondern tatsächlich Angst haben vor Schwulen, starken Frauen oder überhaupt Menschen, die selbstbewusst durch’s Leben gehen. Sich selbst überschätzende Machos, die es nicht schaffen sich zu definieren ohne immer gleich auch auf allen andern rumzuhacken. Was für ein Weltbild: ich bin nur wer, weil ich alle anderen überrage.

Und dann kommt dieser Chris Cab, ein Bubi mit Schwiegersohngesicht, und singt ganz naiv unschuldig sein Lied. Und dieses dämliche Lied braucht auch tatsächlich nicht lange um sich in mein Gehirn einzunisten. Schon spüre ich, wie es wirklich Sommer wird und hätte Lust auf Meer und Strand. Palmen dürfen ruhig auch da stehen. – Das alles passiert, obwohl ich permanent bei dieser Stimme an mindestens Jimmy Cliff erinnert werde. Oder an sonst welche Gute-Laune-Hampelmänner aus den 80ern. Culture Club hat sich ja auch mal in Reggae versucht.

Wenn nun ein Künstler so permanent den Vergleich zu anderen provoziert, dann ist er entweder besonders einfallslos oder der andere (die anderen) hat/haben wirklich gar keine Bedeutung mehr. Beides könnte im Fall von Chris Cab der Fall sein. Gökalp Babayigit bringt's noch ein bisschen pointierter auf den Punkt - darf jede/r selbst entscheiden, wie talentiert der Jungstar wirklich ist.

Gründe Liar Liar nicht zu mögen, gibt es also genug. Warum bin ich dann trotzdem von diesem Titel angefixt und lasse mich sogar dazu verführen mitzusummen? Vielleicht liegt es daran, dass bei dieser Produktion Everybody’s Darling Pharrell Williams seine Finger als Produzent im Spiel hat. Der Mann schafft es offenbar ganz gut, so eine Art allgemeines Wohlbefinden zu erzeugen. Ob nun als Gastsänger oder als Hauptakteur oder in diesem Fall als Knöpfchendreher im Hintergrund. Er trifft recht genau den Ton, der in meinem Gehirn die Hebel umlegt und Endorphine freisetzt, egal ob es nun elektro-affiner Pop, Funk oder eben auch Reggae ist. Das find ich schon ordentlich erstaunlich.

Noch erstaunlicher finde ich, dass er es hinkriegt selbst die schlimmsten Songs und Geschichten derart unschuldig fröhlich zu verpacken, dass ich tatsächlich nur noch nachsichtig sein kann. Das war schon bei sexistisch hoch 10 Blurred Lines so und ist bei Liar Liar ganz genauso. Unglaublich. Sagt dem dann trotzdem mal irgendjemand, dass er so auch auf den Empfindungen einer Menge Leute rumtrampelt? Bitte. Das Recht der Mehrheit ist nicht immer auch das Richtige.

Könnte trotz all dem gut sein, dass Pharrell Williams noch noch eine ganze Weile das musikalische Geschehen hierzulande mitbestimmt. Sein Markenzeichen – infektiöse Funkyness angewandt auf vielfältigste Stile – ist derart allgemein oder auch variabel, dass sich nicht nach der dritten Produktion ein Gähn-Effekt einstellt. Jetzt bin ich direkt gespannt, wieviel Variationen er uns noch zu bieten hat ohne dass jeder sagt: ach ja - wieder mal der Pharrell...





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