Freitag, 13. Juni 2014

KIESZA: Hideaway


Da haben wir also mal wieder einen kanadischen Act, der sich in die Ohren – und in diesem Fall wohl auch Tanzbeine – der Kontinentaleuropäer drängelt.

Obwohl das Land recht groß ist und auch einige Einwohner hat, ist die musikalische Ausbeute von dort scheinbar doch eher dünn. Vielleicht liegt dieser Eindruck auch ein wenig daran, dass hierzulande Kanada und die USA gern als ein kultureller Raum gesehen werden und die kanadische Eigenständigkeit gar nicht so bedeutend wahrgenommen wird. Für Kanadier in den USA ist das schon deutlich anders. Die sind dort nämlich erstmal eines: Ausländer.

Aber zurück zu den Gemeinsamkeiten. Mit dem Verweis darauf bin ich nämlich bei einem wesentlichen Merkmal von Hideaway. Der Track ist eingängig, infektiös, trifft den Nerv der Zeit – vor allem, weil hier sehr gekonnt ein paar Erfolgsrezepte angewandt und wiederverwertet wurden.

Schon beim ersten Hören habe ich Erinnerungen und vermute bewusst gesetzte Verweise auf einen Überflieger-Track der 90er: Show Me Love von Robin S. aus dem Jahr 1993.



Nun hat dieser Titel in den letzten Jahren immer wieder mal eine Renaissance erlebt, sei es als Grundlage für eine 1:1-Coverversion (Michael Mind Project) oder auch etwas indirekter benutzt für eigenständige Tracks (Kid Ink). Kluge Produzenten orientieren sich also an dem bekannten und erfolgreichen Klangbild, sind aber schlau genug, das Ganze dann doch ein bisschen weiter in die Eigenständigkeit zu treiben, bleiben aber hübsch im Groove der 90er, auch das House-Piano kommt noch mal zu Ehren (besonders in den zahlreichen Remix-Versionen ist das bis zum Abwinken ausgewalzt) … kann hier eigentlich noch was schief gehen?

Na klar, kann es. Es reicht selbstverständlich nicht einen auf 90er zu machen und schon funktioniert’s. Glücklicherweise sind da die Musikkonsumierenden doch schon etwas eigensinniger. Aber Kiesza hat da tatsächlich noch zwei Trümpfe im Ärmel. Zum einen nimmt sie den Grundsatz der 90er Clubmusik ernst und verzichtet auf zu viele Botschaften. “Ooh uh” sind Aussage genug, schließlich geht es hier auch um grundsätzliche Bedürfnisse: Tanzen und sich vergessen bis der Körper nicht mehr kann. Der Godfather der Chartkommentatoren höchstpersönlich, James Masterton, sah sich angesichts dieser Kompromisslosigkeit zu einer kleinen Lobeshymne veranlasst.

Trumpf Nummer 2 ist das von Kiesza mitgelieferte Video. Und da landen wir wieder beim Anfang dieses Textes. Denn wenn es ein Video in den letzten Monaten gab, welches für Aufsehen sorgte, dann war das der 24h-Happy-Rundumschlag von Pharrell Williams. Gedreht an einem Stück (oder zumindest so clever geschnitten, dass es aussieht als gäbe es nur eine einzige Kameraaufnahme), macht Kiesza genau das selbe und zieht mich mindestens genauso in den Bann.



Ich weiß gar nicht genau, was mich an dieser Art zu filmen immer noch so fasziniert. Ist es die Überstrapazierung der immer schneller geschnittenen Filme und Videos? – Ich freu mich eben auch mal über etwas gestalterische Ruhe. Oder ist es die Lust daran zu gucken, aus welchem Hauseingang und hinter welchem Container nun die nächste Person hervorspringt? Quasi das Ratespiel der Möglichkeiten. Oder ist es schlichtweg die Choreographie die hier gekonnt Gruppeneinlagen mit Pas de deux’s oder Solos kombiniert?

Ich denke ein wesentlicher Faktor ist die Inszenierung in der Realität. Was passiert wenn eine exaltiert tanzende Frau auf einer normalen Straße durch Bauarbeiter und Joggerinnen springt? Welche Reaktionen kann ich erwarten? Lässt sie sich von solchen Störungen und Zufällen aus dem Konzept bringen? Und ist das vorbeifahrende Auto nun bestellt oder Zufall?

An dieser Stelle eröffnen sich Parallelen zu dem, was aktuell in Musikvideos aus Deutschland zu beobachten ist, und das ich mal frech unter den Begriff “inszenierter Realismus” gepackt habe. Es geht um die Wirklichkeit, es geht um Authentizität. Aber das Ganze ist sehr bewusst und deutlich eben auch ein Stück Inszenierung und im besten Falle Kunst. Kunst die sich eben auch in der Wirklichkeit behauptet und kein bisschen Angst hat oder Rücksicht nimmt. Beides so deutlich nebeneinander zu stellen und aus der Diskrepanz heraus Spannung zu erzeugen, das find ich ein ganz schlaues Konzept.




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