Freitag, 18. Juli 2014

SIGMA: Nobody To Love


Wann war eigentlich das letzte Mal ein Drum’n’Bass-Titel so erfolgreich?
Gab es überhaupt schonmal einen Drum’n’Bass-Track, der das geschafft hat?
Ich kann mich nicht erinnern.
Dabei ist dieser Stil gut und gerne schon mehr als 20 Jahre etabliert. Gereicht hat es für den Massengeschmack nie. Was ist nun anders?

Zunächst mal gab es in der Zwischenzeit eine digitale Revolution und damit auch eine ungeheure Beschleunigung des Lebens. Einen Film oder ein Musikvideo aus den frühen 90ern heute anzuschauen ist schier unaushaltbar (so laaaaangweilig sind die). Und selbst solch ein Film wie Sunshine, der ja 2008 irgendwie auch die Langsamkeit zelebriert hat im Vergleich zu Stalker oder Solaris von Andrej Tarkovsky ein atemberaubendes Tempo.

Das mal die ganz platten Vergleiche aus dem Kulturbusiness. Im Alltag selber braucht nur jeder zu schauen, wie lang ein Text heute noch sein darf um wirklich komplett gelesen zu werden – nicht überflogen. Und wieviele Bilder wünschen wir uns dazu? Am besten gleich programmiert als Dia-Schau.

Die immer schnelleren, alltäglichen Abfolgen machen es möglich sich auch an schnelleren Rhythmusstrukturen zu erfreuen. Ein paar hatten dieses Gefühl des Glücks bei Drum’n’Bass eben schon vor 20 Jahren – die Masse zieht erst jetzt so richtig nach. Wie so oft war es zunächst die britische Gesellschaft, die in Sachen Tempo und popkulturellen Moden ohnehin etwas schneller und exzessiver ist und die deshalb vor fünf sechs Jahren begann die Rhythmus-Abfolgen der 90er wiederzuentdecken und neu zu kombinieren. Grime war so ein Ausflug, gefolgt von den etwas gezähmteren Produktionen mit Emeli Sandé und so langsam wurde auch der Kontinent hellhörig. In diesem Sommer nun ist der Weg geebnet genug, dass ein junges Produzenten-Duo wie SIGMA es tatsächlich schafft einen kleinen Sommerhit zu platzieren.

Mit Nobody To Love ist Drum’N’Bass plötzlich da, macht Freude und lässt den Alltagsschrott vergessen. Mit Sicherheit hat die große Nachfrage auch damit zu tun, dass der Verdruss am übermächtigen Deep House-Schubidu doch schon ein paar Leute mehr erfasst hat. Genug zumindest, um wahrnehmbar eine andere Form der elektronischen Entspannung zu propagieren.

Nicht zuletzt zelebriert Nobody To Love auch noch einmal sehr schön das gängige Zitieren und Neu-Verarbeiten von Ausschnitten, das mit der Wiederholung der Wiederholung eine Vertrautheit erzeugt, die mich sofort einnimmt. Vor einem Jahr präsentierte Kanye West bereits den Refrain als Intro und Bridge für seine Auskopplung Bound 2. War nicht übermäßig erfolgreich, aber offenbar präsent genug um ausgeschlachtet zu werden. Mr. Kanye West himself hatte für seinen Track aber auch bereits ordentlich in die Kiste der Musikgeschichte gegriffen. Die Melodie von “I Know You’re Tired Of Lovin’ With Nobody To Love” ist nämlich hübsch arrangiert um ein Melodiestückchen aus dem Jahr 1977, eingespielt von Wee unter dem Titel Aeroplane (Reprise).

Genug Spurensuche betrieben – die 70er und die 90er sind ja nicht nur für SIGMA sehr wesentliche Inspirationsquellen. Da ließen sich hier noch einige andere Beispiele aufzählen, die in ihrer Atemporalität teilweise so klingen, als wären sie tatsächlich in diesen Jahrzehnten entstanden. SIGMA reiht sich also problemlos in den Mainstream ein. Genauso geschieht es auch mit dem Video.



Anhand der Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit mit der hier ein sorgloses und heiteres Leben bebildert wird, mag ich mich gar nicht weiter in die Analyse stürzen. Das würde mir jeglichen Glauben an die Ernsthaftigkeit der beiden Produzenten hinter SIGMA rauben. Immerhin ließ es ja erstmal aufhorchen, dass da anstatt eines gute-Laune-Feier-Party-Hedonismus-Textes erstmal eine Negation als zentrale Botschaft stand: Keinen zum Lieben! – Hübscher Bruch mit gängigen Klischees.

Aber wir müssen uns wirklich nichts vormachen: Mit SIGMA hat Drum’n’Bass endgültig seine Unschuld verloren. Ob das so wirklich nötig war?





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